Held Rama
in die Unterwelt zu fahren. Auf dem Gipfel verwüsteten die Tollen den herrlichen Hain des Schatzgottes und stahlen seinen goldstrotzenden Wagen Puschpaka. Auf diesem wunderbaren Fahrzeug hielt Ravana seinen Einzug in die Unterwelt. Die armen Sünder, die da auf Rasen aus Dolchmessern, unter Bäumen, die Schwerter trugen, an Bächen von Blut und Quellen von Schweiß ihr Erdenwallen abbüßten, jubelten Ravana als ihren Befreier entgegen.
Da erschien der Gott des Todes auf seinem Streitwagen. Ein wütender Kampf zwischen den beiden Starken entbrannte. Schon hob Yama das Sichelschwert, um das Ungeheuer zu töten, als des Schicksals Stimme im Kampflärm erschallte: »Gott des Todes, du darfst Ravana nicht fällen, denn mein Wort muss sich erfüllen!«
Da spaltete Yamas Schwertschlag die Erde, und der Gott verschwand vor den Augen des jubelnden Dämons.
Siegestrunken zog Ravana zur Oberwelt und forderte in seinem Übermut Varuna, den Herrn der Gewässer, zum Zweikampf. Varuna, des Schicksalsgebotes eingedenk, sandte seine starken Söhne, die wilden Bergströme, über den Frevler. Hei! setzten die dem Heißblütigen zu! Doch Ravana wehrte sich tapfer. Glühender Odem ging aus seinen zehn Rachen und brannte den Söhnen Varunas das Fleisch von den Knochen. Dünn und matt schlichen sie nun durch die Lande, bis ihr Vater mit dem Unbezwinglichen Frieden schloss und ihm als dessen Unterpfand die Insel Lanka zu eigen gab.
Dort gründete Ravana eine befestigte Stadt, brachte Hof und Familie darin unter und rastete selbst oft hier, von seinen Streifen ermüdet.
Doch stets aufs Neue fuhr er aus, denn Puschpaka, der herrliche Wagen, den er auf dem Kaïlasa erbeutet hatte, trug ihn durch die Wolken ans Festland. Zehntausend Frauen und Mädchen hatte Ravana bei Göttern und Menschen geraubt und hielt sie in seinem Frauenhause zu Lanka eingeschlossen. Einst Riss er in Kekaya ein Weib an sich, welches bei seinem erschrecklichen Anblick verstummt war. Puschpaka trug den Frauenräuber mit seiner schönen Beute durch die Wolken nach Lanka, aber als der Unhold die Wehrlose ins Frauenhaus schleppen wollte, kam eben sein ältester Sohn des Weges.
»Wehe, Vater!« rief dieser beim Anblick der Stummen, »du hast meine verlorene Gattin zu deinem Weibe gemacht! Fluch deinen Gewalttaten gegen Frauen: Zwingst du noch einmal ein Weib, dir zu Willen zu sein, so soll dein fühlloses Herz in sieben Stücke brechen, dass du auf der Stelle verendest.«
Ravana ließ seine unglückliche Schwiegertochter frei, und die Angst vor Erfüllung des Fluches zähmte fortan seine wildesten Gelüste. Meist nahte er sich nun den Geraubten in verzauberter Gestalt, und List, schlaue Rede und geheuchelte Freundlichkeit mussten ihm die rauhe Gewalt ersetzen.
Doch nur den Frauen gegenüber hielt sich der Dämonenfürst im Zaum. Götter und Menschen mussten nach wie vor seine harte Faust fühlen; ja, er drang sogar mit den Seinen in Indras Himmel ein, stellte sich dem gewaltigen Donnerer zum Kampfe, und während undurchdringliche Finsternis das Ringen der beiden Stärksten verhüllte, band der Sohn Ravanas den Götterkönig durch einen mächtigen Zauber. Indradschit, den Indrabezwinger, nannte man seither den kühnen Dämonenprinzen. Indradschit gab seinen Gefangenen erst frei, als dieser ihm die Gunst gewährte, nach jedem Opfer einen Tag lang unbesieglich zu sein.
Nun war der Sohn so schrecklich wie der Vater, und die Menschheit verging schier unter den Greueltaten der Übermächtigen.
----------
Die Lichtgötter waren ob der ihrer Sorge anvertrauten Menschheit bekümmert.
Sie traten vor Brahma, den Schicksalswalter, um seinen Rat, seine Hilfe gegen das Ungeheuer Ravana zu erflehen. Doch des Schicksals Verhängnis ist ewig und unerbittlich.
»Keinem der Himmlischen darf der Verfluchte erliegen!« sprach Brahma. »Doch der Menschen hat sich der Starke, in Verachtung alles Schwachen, nicht versehen. Der Menschen, die er den Affen verglich. Mag ein reiner Mensch den Kampf mit dem Ungeheuer wagen, und Affen sollen ihm beistehen. Vielleicht wird dadurch die Welt von dem Übel erlöst.«
Als Brahma geendet hatte, rauschte es in den Lüften, und Wischnu, der Gott im goldgelben Kleid, kam auf seinem Geier Garuda geritten. Die Himmlischen grüßten ihn mit ehrfürchtiger Gebärde und sangen:
Dreigespaltner! –
Der die Welt errichtet,
Sie erhaltet und vernichtet –
Dreigeeinter! – Sei gegrüßt!
Quell der Quellen,
Ätherweit,
Grund des Werdens und
Weitere Kostenlose Bücher