Held Rama
Vergehens,
Herr der Zeit,
Der Ewigkeit,
Hort des Wechsels und Bestehens!
Der du warst, ohne zu werden,
Sonne schufst und Mond und Erden,
Sie erhaltest und erhörst
Und am End' der Zeit zerstörst –
Dreigespaltner, sei gepriesen!
Dreigeeinter!
Der uns vierfach offenbaret
Und doch unerfaßlich ist,
Jedes Lebens Maß bewahret
Und doch unermeßlich ist!
Schöpfer, der du unerschöpflich,
Werd' Geschöpf zum Heil der Schöpfung,
Werde Mensch zum Heil der Menschen
Und der Götter, höchster Gott!
Dreigespaltner! –
Der die Welt erbaut,
Über ihr waltet, das Ende schaut –
Dreigeeinter, errett' uns!
»Euer Vertrauen will ich belohnen!« sprach Wischnu. »Als Menschensohn will ich geboren werden und das Ungeheuer, das die Welt würgt, vernichten. Ein Lehrer, der Krieger ist und Priester – ein Starker voll menschlicher Schwäche, ein Schwacher voll himmlischer Kraft – soll den Erdgeborenen für den überirdischen Kampf stählen. Ihr aber bevölkert mir die Erde mit starken und zauberkundigen Affen, auf dass der Held Hilfe finde gegen die Scharen der Dämonenfürsten!«
So ward Ravanas Untergang beschlossen.
Wischwamitra
Im glänzenden Licht der Morgensonne lag die Einsiedelei des Heiligen Wasischta da.
Blühende und zugleich früchtetragende Baumriesen umschatteten den Platz vor dem kleinen Häuschen und dem sauberen Stall für des Klausners Kuh. Und, als gälte es, ein immerwährendes Fest zu feiern, zogen sich Ranken mit roten, blauen und weißen Blütensternen über Wände, Dächer und Firste der freundlichen Gebäude. Sorglos äste das scheuste Wild, die zarte Gazelle, rings um die Stätte des Friedens. Der Kokila, Indiens Nachtigall, sang seine Weisen, und Kinaras, verliebte Genien mit Roßköpfen, trieben auf der Wiese ihr loses Spiel. Auf der Opferstätte, die unmittelbar hinter der stets offenen Tür der Klause lag, schürten kleine, kaum spannenlange Wesen im Büßerkleid das ewige Hausfeuer und legten wohlriechende Hölzer in die Flammen. Wie die Heinzelmännchen des deutschen Märchens hüteten sie das Haus vor Schaden und dienten dem Guten mit Fleiß und mit Eifer.
Plötzlich schmetterten die Klänge von Heerhörnern in die friedliche Stille.
Wischwamitra, der edle und starke Herrscher des Reiches, zog mit Heeresmacht durch sein Land, um pflichtgemäß überall nach dem Rechten zu sehen.
Wasischta, der fromme Seher und Sänger der Vorzeit, den seine Frömmigkeit, seine Weisheit und Güte und die strenge Bändigung seines Sinnenlebens schon durch Jahrhunderte am Leben erhalten hatte, trat vor die Tür, um seinen erlauchten Gast, dessen Nahen die Muschelhörncr verkündigt hatten, voll Ehrerbietung zu begrüßen.
Mit einem freundlichen: Sei willkommen, mein königlicher Herr! trat der fromme Greis vor den stolzen Krieger und lud ihn mit demütiger Gebärde zum Eintreten. Der König neigte sich vor dem Heiligen und hieß sein Gefolge lagern. Während er mit dem Klausner nach dem Häuschen schritt, fragte er der Sitte gemäß nach dem Wohlergehen des ehrwürdigen Gastgebers und nach dem Gedeihen seines Bußwerkes.
Wasischta dankte und pries die Sicherheit der Frommen unter des tapferen Königs Herrschaft.
Als Wischwamitra den Ehrensitz eingenommen hatte, fragte auch der Heilige nach des Königs Wohlsein, nach seiner Freude an redlicher Erfüllung der Herrscherpflicht und nach Sieg und Segen im Reich und Haus seines Gastes.
Nachdem der Klausner dem König Fußwasser und die gastliche Spende gereicht halte, hat er auch Heer und Gefolge des Edlen bewirten zu dürfen.
»Freundlich ist deine Meinung, heiliger Mann!« sprach der König mit ablehnender Gebärde, »doch beim Priester will der Krieger nicht seines Leibes Hunger sättigen. Dein Anblick, Ehrwürdiger, stärkt mehr als das köstlichste Mahl. Ich und die Meinen werden dir deshalb für reichste Gastfreundschaft verpflichtet bleiben!«
Doch als Wasischta seine Einladung noch einmal vorbrachte, gab Wischwamitra nach, teils aus Ehrfurcht vor des Heiligen Wunsch, teils aus Neugierde: Was konnte der arme Bewohner der Waldöde der großen Schar seiner Gäste wohl vorsetzen wollen?
Kaum hatte Wasischta des Königs Einwilligung erlangt, so führte er ihn vor die Klause und zog seine Kuh aus dem Stall. Die war schwarzgescheckt, mit glänzendem Haar, sanften Augen und strotzendem Euter.
»Es ist Nandini, die Wunschkuh!« sprach der Priester zum König.
»Die Kuh ist die Mutter des Volkes. Sie schenkt ihm des Lebens erste
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