Held von Garathorm
verlassen."
„In all dem liegt die Antwort", erwiderte Hawkmoon kurz, während er unwirsch auf den Tisch deutete. „Es gibt einen Weg, Yisselda zu finden."
Graf Brass lief es kalt über den Rücken.
„Yisselda ist tot", sagte er leise.
„Sie lebt", widersprach Hawkmoon. „Sie lebt. Irgendwo! An einem anderen Ort."
„Wir waren uns einmal einig, Ihr und ich, daß es kein Leben nach dem Tod gibt", erinnerte Graf Brass seinen Freund. „Außerdem - möchtet Ihr wahrhaftig einen Geist ins Leben zurückrufen? Würde es Euch beglücken, Yisseldas Schatten herbeizubeschwören?"
„Wenn das alles wäre, was ich zurückholen könnte - ja! Ich würde mich selbst damit zufriedengeben."
„Ihr liebt eine Tote!" Graf Brass' Stimme zitterte fast. „Und durch Eure Liebe zu ihr scheint Ihr mir nun in den Tod verliebt zu sein."
„Was gibt es denn im Leben noch zu lieben?"
„Viel! Sehr viel! Ihr würdet es selbst feststellen, wenn Ihr Euch entschließen könntet, mit mir zu reisen."
„Ich habe kein Bedürfnis, Londra zu sehen. Ich hasse diese Stadt!"
„Dann begleitet mich zumindest einen Teil des Weges."
„Nein. Meine Träume beginnen wiederzukehren. Und in diesen Träumen komme ich Yisselda ein wenig näher - und unseren zwei Kindern."
„Es gab diese Kinder nie. Ihr habt sie erfunden. In Eurem Wahnsinn habt Ihr sie Euch ausgedacht."
„Nein. Gestern nacht träumte ich, ich hätte einen anderen Namen, sei jedoch der gleiche Mann. Ein seltsamer, archaischer Name war es. Ein Name vor dem Tragischen Jahrtausend. John Daker. Ja, das war er. Und John Daker fand Yisselda."
Graf Brass brach es fast das Herz bei den aus dem Irrsinn geborenen Worten seines Freundes. „Diese Überlegungen, diese Träume bringen Euch nur noch größeres Leid, Dorian. Sie verschlimmern die Tragödie. Glaubt es mir, ich spreche die Wahrheit."
„Ich weiß, daß Ihr es gut meint, Graf Brass. Ich achte Eure Einstellung und verstehe, daß Ihr glaubt, mir zu helfen. Aber ich bitte Euch einzusehen, daß Ihr das Gegenteil damit bewirkt. Ich muß diesem Weg folgen. Ich weiß, daß er mich zu Yisselda führt."
„Ja", murmelte Graf Brass voll Kummer. „Ich pflichte Euch bei. Er führt Euch in den Tod."
„Ist das der Fall, habe ich nichts zu befürchten."
Hawkmoon drehte sich wieder um und sah Graf Brass an. Der Graf spürte, wie es ihm kalt ums Herz wurde, als er in das eingefallene weiße Gesicht und die glühenden Augen blickte, die tief in den Höhlen lagen.
„O Hawkmoon", murmelte er. „O Hawkmoon."
Ohne ein weiteres Wort schritt er zur Tür.
Ehe er sie hinter sich schloß, hörte er noch Hawkmoons hysterisch klingende Stimme.
„Ich werde sie finden, Graf Brass!"
Am nächsten Tag zog Hawkmoon die Vorhänge ein wenig zur Seite, um durch das Fenster auf den Hof hinunterzublicken. Graf Brass brach auf. Sein Gefolge saß bereits auf den edlen Pferden, deren Samt und Satindecken die Farben des Grafen aufwiesen - ein Rot in mehreren Tönen. Wimpel und Bänder flatterten von den Flammenlanzen in ihren Sattelhüllen. Und der Wind bauschte die Umhänge der Männer, so daß die frühe Morgensonne sich auf den glänzenden Rüstungen spiegeln konnte. Die Pferde stampften ungeduldig und schnaubten. Diener eilten geschäftig herum und reichten den Reitern zur inneren Erwärmung dampfende Getränke. Und dann trat Graf Brass auf den Hof und schwang sich auf seinen rotbraunen Hengst. Seine Messingrüstung flammte in der Sonne, als stünde sie in Feuer. Der Graf blickte zum Fenster hinauf, und sein Gesicht wirkte nachdenklich. Dann strafften sich seine Züge, als er sich zu seinen Leuten umdrehte, um einen Befehl zu erteilen. Und Hawkmoon sah ihnen allen weiter zu.
Während er hinunter auf den Hof schaute, konnte er sich von dem Eindruck nicht lösen, besonders feingearbeitete Modelle vor sich zu haben. Modelle, die sich bewegten und redeten, die aber eben trotzdem nur Modelle wie seine Zinnfiguren waren. Ihm schien, als brauchte er nur hinunterzugreifen und einen der Reiter hochzuheben. Vielleicht Graf Brass selbst, um ihn in eine ganz andere Richtung als Londra zu schicken.
Er hegte einen vagen, unbestimmten Groll gegen seinen alten Freund, den er sich nicht erklären konnte. Manchmal träumte er, daß Graf Brass sich sein Leben mit dem seiner Tochter erkauft hatte. Aber wie sollte das möglich sein? Außerdem war das etwas, das Graf Brass nie zuzutrauen wäre. Ganz im Gegenteil, der alte Haudegen hätte ohne lange Überlegung sein Leben
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