Helden des Olymp: Der verschwundene Halbgott (German Edition)
zuckte mit den Schultern. »Na, sieh es dir an, wenn du willst.«
Die Scheide war aus abgenutztem schwarzen Leder mit Bronzebeschlägen, weder elegant noch auffällig. Der polierte hölzerne Griff lag wunderbar in Pipers Hand. Als sie das Messer aus der Scheide zog, sah sie eine fünfzig Zentimeter lange dreieckige Klinge – die Bronze funkelte, als sei sie erst gestern poliert worden. Ihr Spiegelbild in der Klinge überraschte sie. Sie sah älter aus, ernster, nicht so verängstigt, wie sie sich fühlte.
»Das steht dir«, gab Annabeth zu. »Diese Art Klinge heißt Parazonium. Sie wurde meistens für Zeremonien benutzt und von hochrangigen Offizieren in den griechischen Armeen getragen. Sie zeigte, dass du ein Mensch von Macht und Reichtum warst, und im Kampf war sie ein wunderbarer Schutz.«
»Das gefällt mir«, sagte Piper. »Warum hast du gedacht, es wäre nicht richtig für mich?«
Annabeth blies die Luft aus. »Dieses Messer hat eine lange Geschichte. Die meisten würden sich nicht trauen, es zu benutzen. Seine erste Besitzerin … na ja, mit der hat es kein gutes Ende genommen. Ihr Name war Helena.«
Das musste Piper erst einmal verdauen. »Moment mal, du meinst, die Helena? Die schöne Helena?«
Annabeth nickte.
Plötzlich hatte Piper das Gefühl, das Messer nur mit Gummihandschuhen berühren zu dürfen. »Und das liegt einfach so in deinem Werkzeugschuppen herum?«
»Wir sind hier umgeben von antikem griechischen Kram«, sagte Annabeth. »Das ist kein Museum. Solche Waffen – die sind zum Benutzen da. Sie sind unsere Erbschaft als Halbgötter. Das hier war ein Hochzeitsgeschenk des Menelaos, Helenas erstem Gatten. Sie hat den Dolch Katoptris genannt.«
»Und das bedeutet?«
»Spiegel«, sagte Annabeth. »So zum Reinschauen. Vermutlich, weil Helena es nur dazu benutzt hat. Ich glaube nicht, dass es je einen Kampf gesehen hat.«
Piper schaute wieder die Klinge an. Für einen Moment starrte ihr eigenes Spiegelbild zurück, aber dann änderte sich das Bild. Sie sah Flammen und ein grobes Gesicht, wie aus Felsen gehauen. Sie hörte dasselbe Lachen wie in ihren Träumen und sah ihren Vater in Ketten, neben einem tosenden Feuer an einen Pfahl gebunden.
Sie ließ das Messer sinken.
»Piper?« Annabeth rief zu den Apollo-Leuten auf dem Rasen hinüber. »Mediziner! Ich brauche hier ganz schnell Hilfe!«
»Nein – ist schon gut«, brachte Piper heraus.
»Ganz sicher?«
»Ja, das war bloß …« Sie musste sich zusammenreißen. Mit zitternden Fingern hob sie den Dolch auf. »Das war einfach nur zu viel. Alles, was heute passiert ist. Aber … ich würde den Dolch gern behalten, wenn dir das recht ist.«
Annabeth zögerte. Dann entließ sie die Apollo-Leute mit einer Handbewegung. »Na gut, wenn du sicher bist. Aber du warst wirklich bleich eben. Ich dachte, du hättest einen Anfall oder so.«
»Mir geht’s gut«, beteuerte Piper, obwohl ihr Herz noch immer hämmerte wie wild. »Gibt es, äh, ein Camptelefon? Kann ich mal meinen Dad anrufen?«
Annabeths graue Augen waren fast so verwirrend wie die Klinge. Sie schien eine Million Möglichkeiten durchzurechnen und zu versuchen, Pipers Gedanken zu lesen.
»Telefone sind hier nicht erlaubt«, sagte sie. »Bei den meisten Halbgöttern ist es so, als ob sie ein Signal aussendeten, das den Monstern sagt, hallo, hier bin ich, wenn sie ein Handy benutzen. Aber … ich habe eins.« Sie zog es aus der Hosentasche. »Ist gegen die Regeln, aber wenn es unter uns bleibt …«
Piper nahm das Handy dankbar an und versuchte, ihre Hände ruhig zu halten. Sie trat einen Schritt zurück und drehte sich mit dem Gesicht zur Wiese.
Sie wählte die Privatnummer ihres Dads, obwohl sie wusste, was passieren würde. Anrufbeantworter. Sie versuchte es jetzt seit drei Tagen, seit dem Traum eben. Die Wüstenschule erlaubte nur einen Anruf pro Tag, aber sie hatte es immer wieder versucht und nichts erreicht.
Widerstrebend wählte sie die andere Nummer. Sofort meldete sich die persönliche Assistentin ihres Vaters. »Büro McLean.«
»Jane«, sagte Piper und knirschte mit den Zähnen. »Wo ist mein Dad?«
Jane schwieg für einen Moment und überlegte wahrscheinlich, ob sie einfach auflegen könnte. »Piper, ich dachte, du darfst aus der Schule nicht anrufen.«
»Vielleicht bin ich ja nicht in der Schule«, sagte Piper. »Vielleicht bin ich weggelaufen, um bei den Tieren des Waldes zu leben.«
»Hmm.« Jane klang nicht besonders besorgt. »Na, ich werde ihm sagen,
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