Helden
Trietsch mich am Ärmel fest.
»Bleib du wenigstens hier, Mia?«, bettelte er. »Bitte.« Seine Stimme war plötzlich ganz weinerlich.
»Ich muss zum Mittagessen. Meine Mutter wartet auf mich.«
»Aber ihr könnt mich doch nicht einfach hier so stehen lassen.«
»Wieso denn nicht?«
»Weil ... weil ...«, stammelte Lukas. »Mein Opa hatte auch so eine Maske auf, und sie haben ihn auch mit einem Krankenwagen abgeholt ...«
»Und dann?«, fragte ich.
»Dann ist er gestorben«, sagte Lukas. »Tut mir leid, ich habe wirklich gedacht, die Polizei würde Herrn Brüning verhaften, weil er das Feuer gelegt hat. Alle haben doch gesagt, dass er der Feuerteufel ist.«
»Er war es aber nicht«, sagte ich und ließ Lukas Trietsch einfach stehen.
»Und wer war es dann?«, rief Lukas hinter mir her. »Irgendwer hat doch das Feuer gelegt. Gib’s zu, du weißt was!«, brüllte er. »Ihr wisst doch alle was! Wahrscheinlich wart ihr es selbst!«
12
Der Krankenhausflur ist sehr lang und sehr weiß. Die breiten Türen, hinter denen die Krankenzimmer liegen, sind rot und blau und gelb und grün. Neben den Türen stehen die Zimmernummern. Herr Brüning liegt auf Zimmer 213. Das hat der Pförtner gesagt.
Corinna Thiemann trägt den Blumenstrauß. Wir haben zusammengelegt. Jeder zwei fünfzig. Der Blumenstrauß ist schön bunt. Sommerfarben eben. Löwenmäulchen, Margeriten und Kornblumen.
Mama und Papa denken, ich wäre im Schwimmbad. Das war Felix’ Idee.
»Wir sagen einfach, dass wir ins Schwimmbad gehen. Das glaubt meine sofort.«
»Und du willst Herrn Brüning wirklich die Wahrheit sagen?«
»Mal sehen«, hatte Felix gemeint.
»Aber dann musst du doch wieder ins Heim.«
»Muss ich vielleicht sowieso. Meiner Mutter geht’s nicht so gut.«
Das Zimmer 213 liegt hinter der grünen Tür. Wir klopfen an und warten.
»Herein«, sagt eine Männerstimme.
Vorsichtig machen wir die Tür auf. Corinna hält den Blumenstrauß vors Gesicht. Herr Brüning sitzt auf der Bettkante und starrt uns mit offenem Mund an. Er trägt ein Krankenhausnachthemd und hat ganz dünne Beine.
»Was macht ihr denn hier?«, fragt Herr Brüning. Seine Stimme klingt ganz rau.
»Wir wollten Sie mal besuchen«, sagt Felix.
»Siehst du, Benno, jetzt kriegst du doch noch Besuch«, sagt der Mann, der im Bett am Fenster liegt. »Ich hab’s dir doch gesagt, hier wird keiner vergessen.«
Herr Brüning nimmt die Brille ab und wischt sich mit dem Handrücken über die Augen. Corinna hält ihm den Blumenstrauß hin.
»Sind die für mich?«, fragt Herr Brüning.
»Klar doch«, sagt Felix.
Herr Brüning schüttelt den Kopf. Dann drückt er auf den Summer, der neben dem Kopfkissen liegt. Eine Krankenschwester streckt den Kopf zur Tür herein.
»Schwester!«, ruft Herr Brüning. »Schwester, wir brauchen eine Vase und Gläser und Apfelsaft und, wenn’s geht, noch ein paar Plätzchen! Schwester, sehen Sie nur, ich habe tatsächlich Besuch bekommen!«
Die Krankenschwester lacht. »Wenn’s mehr nicht ist, Herr Brüning. Kleine Wunder erledigen wir sofort.«
»Setzt euch doch, Kinder«, sagt Herr Brüning. »Holt euch die Stühle und setzt euch.«
»Und jetzt erzählt. Was macht der Flussweg? Hat der Brunnenwirt schon Pleite gemacht? Und die Trietschtratsche? Hat sie schon meine Grabrede gehalten? Also los, Kinder, erzählt schon.«
»Die Trietschtratsche«, kichert Corinna.
»Na, was denn sonst?« Herr Brüning lacht. »Und diese kleine fette Qualle, die ihr Sohn ist. Wie heißt der noch? Lukas? Tagelang hat der Lumpsack hinter mir herspioniert! Tagelang! Was soll man da denn denken?«
»Das war unsere Idee«, sagt Felix leise.
Die Krankenschwester kommt zurück, bringt eine Vase, drei Plastikbecher und eine Flasche Mineralwasser. »Bitte schön«, sagt sie. »Hausmarke. Extra für euch.«
Felix, Corinna und ich sehen uns an. Ich nicke Felix zu. Die Krankenschwester verlässt das Zimmer. Herr Brüning sieht jetzt nachdenklich aus.
»Ich bin vielleicht ein Säufer«, sagt er, »aber blöd bin ich nicht. Ihr drei habt doch was auf dem Herzen, stimmt’s? Also raus mit der Sprache.« Er dreht sich zu dem Mann im Fensterbett. »Und du hörst jetzt mal weg, Karlheinz, verstanden?«
»Wird gemacht, Chef!«, antwortet der Mann, der Karlheinz heißt.
Als Felix alles erzählt hat, ist es ganz still im Krankenzimmer.
Draußen hinter den Fensterscheiben glitzert der Sommer. Die Wasserflasche ist leer. Wir sitzen auf unseren Stühlen und gucken auf unsere
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