Helden
»Heldenfoto«.
Corinna hatte Honigbrote geschmiert und Pfefferminztee gekocht, und wir saßen am Küchentisch, so als wäre nichts geschehen. Zwei ganz normale Freundinnen, in einer ganz normalen Küche, an einem ganz normalen verregneten Sommernachmittag.
»Mein Vater hat eine Neue«, sagte Corinna und biss in ihr Honigbrot. »Ich soll ihn besuchen, hat er gesagt. In den Herbstferien. Dann will er sie mir vorstellen. Er zahlt auch den Flug. Aber ich flieg da nicht hin! Nie und nimmer flieg ich da hin! Das kann der sich abschminken!«
Ihre Augen waren ganz dunkel vor Zorn.
»Meine Eltern streiten auch immer«, sagte ich.
»Worüber?«, fragte Corinna.
»Meistens geht es um mich.«
Corinna dachte nach.
»Das ist nicht schlimm«, sagte sie dann. »Schlimm ist, wenn sie nicht mehr streiten. So war das bei uns, bevor mein Vater den Job in der Wüste angenommen hat. Schlimm ist, wenn sie schweigen und plötzlich unheimlich nett zu dir sind und immer irgendwas Tolles mit dir unternehmen wollen am Wochenende. Aber sie machen das nie zusammen, sie machen es immer einzeln. Mit Mama ins Schwimmbad, mit Papa in den Zoo ... Am schlimmsten ist es, wenn einer von ihnen dir einen Hund schenken will«, sagte Corinna.
»Wollten deine das?«
»Mein Vater wollte. Er hatte sogar schon einen ausgesucht. Er hat mir ein Foto gezeigt, aber Mama hat das verhindert!«
Ich war erleichtert. Niemand wollte mir einen Hund schenken, weder Papa noch Mama. Ich durfte ja nicht einmal die Katzen füttern!
»Glückwunsch«, sagte Corinna. »Dann bist du auf der sicheren Seite! Aber wehe, du erzählst jemandem, was bei uns los ist.«
»Nie im Leben.«
»Geschworen?«
»Geschworen«, sagte ich.
10
Eine Schlägerei, Gisbert, eine richtige Schlägerei, und deine Tochter mittendrin! Du hättest den Jungen mal sehen sollen! Sie mussten mit ihm zum Arzt!« Mamas Stimme überschlägt sich.
»Lass mich raten«, sagt Papa, »du warst bei Frau Trietsch einkaufen?«
»Das sind Fakten, Gisbert! Ich habe Lukas Trietsch schließlich selbst gesehen. Die Augen sind völlig zugequollen. Sie haben ihn grün und blau geschlagen! Du musst sie zur Rede stellen!«
Ich höre Papas Schritte auf dem Flur. Schnell lasse ich mich aufs Bett fallen und schlage ein Buch auf. Es klopft an meiner Zimmertür.
»Herein«, sage ich.
Papa setzt sich auf die Bettkante. Er nimmt mir das Buch aus der Hand.
»Deine Mutter sagt, du bist unter die Schläger gegangen?«
»Bin ich nicht!«
»Dann erzähl mal.«
»Lukas und Felix haben sich geprügelt.«
»Warum?«
»Wegen den Meisterdetektiven. Lukas will unbedingt mitmachen. Aber wir wollen ihn nicht.«
Papa zieht die Augenbrauen hoch und runzelt die Stirn.
»Meisterdetektive?«
»Wir nennen uns so. Das ist unsere Bande.«
»Ach so. Und Lukas Trietsch will da mitmachen?«
»Ja, aber Felix und Corinna und ich wollten ihn nicht dabeihaben.«
»Und dann?«
»Dann sind Felix und Lukas aufeinander losgegangen.«
»Und du?«
»Ich habe nur hinterher geholfen. Die haben ja beide geblutet.«
»Und warum hast du keinen Erwachsenen zu Hilfe geholt?«
»Das ging doch alles viel zu schnell, und dann kam das Gewitter und Lukas ist sowieso nach Hause gegangen.«
»Und was ist mit Felix?«
»Der hat ’ne dicke Lippe.«
Papa grinst.
»Aber du hast wirklich nicht mitgeprügelt?«
»Nein!«
»Ehrenwort?«
»Ehrenwort, Papa.«
Er gibt mir das Buch zurück.
»Na, dann lies mal schön weiter, kleine Robbe«, sagt mein Papa und streichelt mir übers Haar.
FEUERTEUFEL
Felix hatte alles aufgeschrieben, nicht nur die Sache mit Fräulein Fontana, nicht nur den Bahndammbrand, in seinem Notizbuch stand der ganze Sommer. Unser ganzer Sommer.
Er hatte aufgeschrieben, wann und wo wir uns getroffen hatten, er hatte aufgeschrieben, wie lange unsere Treffen gedauert hatten. Er hatte sogar die Größe der vier kleinen Katzen gemessen und aufgeschrieben. In seinem Notizbuch konnte ich lesen, dass er den Katzen Namen gegeben hatte. Die schwarz-weißen hießen Schulze 1 und Schulze 2, die rot gefleckte hatte er Pünktchen genannt und die getigerte Anton.
Es war ein komisches Gefühl gewesen, in dem Notizbuch zu lesen. Es war ein bisschen so, als ob ich in Felix’ Kopf sitzen würde, als ob ich alles, was wir gemacht hatten, mit seinen Augen sehen konnte.
Auf einer Seite hatte Felix die »Regeln zur Bekämpfung des Unheimlichen« zusammengestellt:
Regel Nummer 1: Unsichtbar werden.
Regel Nummer 2: Genau beobachten.
Regel
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