Heldenstellung
wollten sie während meiner Tanzstunde Mittagessen gehen, aber offenbar will Danilo sicherstellen, dass ich nicht kneife.
Ann trägt jetzt ein Headset-Mikro. Der Gedanke, gleich mit so vielen Frauen zu tanzen, spornt mich seltsamerweise an. Wäre doch gelacht, wenn ich da nicht auf gute Ideen komme.
Schon tönen Steeldrums und Trompeten in einem schnellen Sambarhythmus durch den Raum. Sofort beginnen die Frauen, mit den Armen Joggingbewegungen zu machen und im Takt dazu die Hüften kreisen zu lassen.
»Zumba he!«, ruft Ann. Ich bleibe wie in Schockstarre stehen.
»Zumba ho!«, kommt es von allen Seiten fröhlich zurück. Kurz überlege ich, »Zickezackezickezackheuheuheu« zu rufen, lasse es dann aber bleiben.
Ich sehe, wie mein Vater auf der anderen Seite der Scheibe auffordernde Handbewegungen macht. Jessica hält sich die Hand vor die Augen und grinst. Danilo klatscht in die Hände, der Spott ist aus seinem Gesicht verschwunden. Nun gesellt sich auch noch Adam zu den dreien. Langsam trete ich von einem Bein auf das andere. Um mich herum tanzen die Frauen jetzt so ausgelassen wie beim Karneval in Rio. Meine Bewegungen dagegen erinnern eher an Karneval in Köln.
Ann steht breitbeinig vorn, zieht jeweils ein Bein hoch und tippt abwechselnd mit Hacke und Ferse auf. Ich versuche, es ihr nachzumachen, aber das geht mir alles viel zu schnell. Ich gebe mein Bestes, kann aber nicht mithalten. Mein Vater und die anderen schütteln traurig die Köpfe, Danilo und Adam grinsen um die Wette. Noch immer keine Spur von Khamroff.
Ein neues »Zumba he!« von Ann.
»Zumba ho!«, schallt es zurück. Jetzt ändert sich der Beat. Er ist sogar eine Spur schneller geworden. Ich bin Unternehmensberater, ich mache Yoga, viel Würde ist mir ohnehin nicht mehr geblieben. Da kann ich auch vor meinem Vater und der Frau, die ich, nun ja, interessant finde, Zumba tanzen. Was habe ich zu verlieren?
Ich konzentriere mich auf Anns Füße, Hacke, Spitze, nun das Wippen mit den Beinen fortsetzen, Beine schließen, die Arme nach rechts und links werfen. Ist gar nicht so schwer. Nach all den statischen Yogahaltungen bin ich fast dankbar für ein bisschen Bewegung.
»Gut!«, lobt Ann und klatscht im Takt in die Hände. Mittlerweile haben sich auch die übrigen Fitnesstrainer des Studios vor der Glasscheibe versammelt. Ich bin jetzt sehr, sehr froh, dass Jay, Ben und Thomas im Backoffice geblieben sind.
Die Zuschauer lachen, ein paar nicken mir aufmunternd zu. Hoffentlich kommt Khamroff bald, lange halte ich das hier nicht mehr aus. Weder konditionell noch emotional.
Nach fünfzehn Minuten bin ich völlig durchgeschwitzt. Ich habe immer über diese unglaubwürdigen Statements in Boulevardmagazinen gelästert, in denen Frauen sagen, dass sie durch ihren Trendsport »gute Laune kriegen«. Tatsächlich lachen alle um mich herum. Wahrscheinlich über mich. Auch mein Vater, Adam und Jessica grinsen breit. Danilo hat einen Laptop aufgeklappt und auf mich gerichtet. Offenbar filmt er meine Tanzeinlage, und mir schaut gerade die halbe Welt zu, wie ich den letzten Rest meiner Würde wegtanze. Bis Ende des Jahres bin ich wahrscheinlich ein Youtube-Star. Aber dann will ich den Leuten auch etwas bieten. Wie hat Sina gesagt? Etwas Großes kann nur aus Emotionen entstehen. Ich habe nicht mehr viel Zeit, und die Musik hier ist ja emotional. Also stelle ich mir vor, ich wäre irgendwo in Mexico City auf einer Party und hätte den abendlichen Tequilarekord gebrochen. Schon geht mir das »Zumba Ho« so leicht von den Lippen wie der kreisende Schwung aus den Hüften. Wahrscheinlich tun mir einfach die Frauen hier gut. Ist wie beim Yoga. Als ich das nächste Mal hinsehe, sind meine Zuschauer verschwunden. Mein Shirt ist völlig durchgeschwitzt. Ein neuer Beat. »Zumba he!«, rufen wir.
Plötzlich bleibt Ann stehen. »Vielen Dank, meine Lieben, und ein extra Applaus für Ricky Martin«, sagt sie und deutet auf mich. Vor lauter Tanzerei habe ich wohl die Zeit vergessen. Die Damen klatschen, und ich verbeuge mich.
Vor der Getränkebar warten schon mein Vater und die Entourage. »Hallo, Tanzbär«, begrüßt mich Adam. Danilo sieht mich ernst an, fast berührt.
»Das war wirklich wunderschön«, sagt er mit belegter Stimme. »Ich sehe leider viel zu selten Männer, die sich so gut bewegen können. Wenn Sie wollen, können Sie hier regelmäßig trainieren.«
»Ja, mal schauen.«
Auf dem Weg zu den Duschen komme ich an der Cardio-Ecke mit den Laufrädern
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