Heldenstellung
vorbei. Die Leute hier rennen und kommen doch nicht voran. Wie im Hamsterrad.
Das ist es!
In den Umkleidekabinen wühle ich in meinen Yogasachen und finde den Flyer, den mir Sina am ersten Tag im Studio zugesteckt hat. Plötzlich weiß ich, was ich gleich präsentieren werde: ein gutes Gefühl.
Im Konferenzraum sitzen mein Vater und Jessica, Mesut, Adam und Danilo in einem kleinen, offenen Kreis um den Tisch. Sie alle starren auf einen aufgeklappten Laptop. Von Khamroff immer noch keine Spur. Durch die Glastür kann ich sehen, dass sie in den Handouts blättern, in denen steht, dass nicht investiert werden soll. Ich erkenne die erste Folie unserer PowerPoint-Präsentation: das EgoFit-Logo mit der Krone.
Danilo winkt mich vor den Laptop. Auf dem Bildschirm sehe ich einen Mann an einem Patriarchenschreibtisch, im Hintergrund steht tatsächlich eine Superman-Figur, wie manchmal in Videotheken. Das kleine rote Licht am oberen Rand des Bildschirms leuchtet. Es ist eine Skype-Konferenz.
»Ich dachte, wir treffen uns persönlich?«, frage ich Danilo. Der tut überrascht angesichts so viel Ahnungslosigkeit: »Herr Khamroff hat noch andere Termine. Er kommt nur zu den ganz wichtigen Präsentationen.« Alles klar.
Ich stelle mich vor den Bildschirm, so dass mich alle sehen können. Dann greife ich mir ein Handout und zerreiße es.
»Vergessen Sie das!«, beginne ich.
Schon habe ich die Aufmerksamkeit der Runde. Ich nehme mir Zeit, in jedes Gesicht zu schauen. Mein Vater stutzt, Jessica schenkt mir ein Lächeln, Danilo schaut interessiert, Adam trinkt einen Schluck Wasser und lehnt sich zurück. Khamroff lacht.
Ich halte das zerrissene Präsentationssheet hoch.
»Hier steht drin, was Ihnen jeder Berater empfehlen würde, der sich oberflächlich mit Ihrem Studio beschäftigt, der das Unternehmen nicht mental durchdrungen hat. Es sollte gespart werden, weniger Personal, günstigere Geräte, ein griffiger Name, kleine Preise, großes Geld. Das ganze sollte EgoFit heißen«, sage ich. »Eine Schnapsidee.«
Mein Vater sieht mich erstaunt an. Seine Lippen formen tonlos die Worte What the fuck?
Ich lächle Khamroff virtuell an. »Aber als ich Sie eben gesehen habe, ist mir gleich klar geworden: Das ist kein Mann, der klein denkt. Das ist kein Mann, der mit Rabatten locken muss. Deshalb werde ich Ihnen heute keine High Level Glossy Slides delivern. Das können alle. Wir können mehr, und vor allem können Ihre Studios mehr.«
Ich deute mit dem Zeigefinger nach draußen in den Gerätepark.
»Was sehen Sie?«, frage ich. Danilo hebt den Computer hoch und schwenkt ihn langsam von links nach rechts.
»Ein Fitnessstudio«, höre ich Khamroffs Stimme.
Ich schüttle den Kopf.
»Schauen Sie genauer hin!«
Jetzt beugt sich Adam vor. »Ein renoviertes Studio?«
»Lassen Sie sich Zeit.« Pausen sind bei jeder Rede, gleich ob Präsentation oder Laudatio, das A und O. Ich zwinge mich, im Kopf bis zehn zu zählen, dann breite ich die Arme aus.
»Ich sehe den ersten Schritt in die Zukunft. Dort strampeln, ziehen, drücken, wuchten und bewegen Menschen für Geld Gewichte. Sie erzeugen Energie.« Nächste Pause.
»Russland ist der viertgrößte Stromproduzent der Welt«, sagt Khamroff. »Aber fossile Energien sind endlich«, entgegne ich. »Deutschland hat in den letzten zehn Jahren mehr als hundert Tonnen militärisches Uran aus russischen Atombomben gekauft, um Energie herzustellen.« Habe ich mal irgendwo gelesen, keine Ahnung, ob das stimmt.
»Worauf wollen Sie hinaus?«, fragt Danilo.
Khamroff sieht gelangweilt aus.
»Wir suchen verzweifelt nach alternativen Energiequellen«, erkläre ich. »Nach dem Atomunglück in Fukushima wenden sich auf der ganzen Welt die Menschen von der fossilen Energieerzeugung ab. Zum einen haben sie Angst, dass wieder ein Atomkraftwerk explodiert, zum anderen gehen uns die Rohstoffe aus: Mit Erdöl und Erdgas kommen wir noch 43, maximal 66 Jahre aus, mit Kohle etwa 170 Jahre. Die Internationale Energieagentur geht aber davon aus, dass sich der weltweite Primär-Energiebedarf zwischen 2008 und 2035 um 36 % erhöhen wird.«
Die Fakten stehen auf Sinas Flyer, der nun vor mir auf dem Tisch liegt.
Adam gähnt demonstrativ. Danilo schaut mich fragend an, Khamroff sieht auf die Uhr.
»Die Welt braucht alternative Energien«, erkläre ich. »Saubere Energien. Italien hat den Atomausstieg schon vollzogen, Deutschland, die Schweiz und Belgien stecken mittendrin. Das einzige Problem, und jetzt komme
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