Heldenstellung
und habe mir sogar eigene Yogasachen gekauft. Ehrlich gesagt nicht nur Error zuliebe, dem ich in der Zwischenzeit erzählt habe, sein Mops sei in der Schweiz ausgebüxt. Mein Freund hat drei Tage nicht mehr mit mir geredet. Kann ich verstehen. Ich habe ihm angeboten, den imaginären Praktikanten feuern zu lassen, aber er meinte, das würde auch keinen Sinn mehr machen. Die Einzige, die ihn derzeit zum Lächeln bringen kann, ist Sina.
Ich hole ihn dreimal pro Woche zum Yoga ab. Wenn es jemandem gelingen kann, Error auf andere Gedanken zu bringen, dann ihr. Und immerhin habe ich das Gefühl, Sina interessiert sich mehr für ihn als Jessica sich für mich. Selbst bei den Partnerübungen weicht Jessica jeder Berührung aus, und immer, wenn ich ihr näher komme, sagt sie nur: »Das ist nicht, was ich will.«
Was sie aber will, verrät sie mir nicht.
Mit Sina habe ich Waffenstillstand geschlossen. Schließlich kennt sie Jessica schon länger und kann mir bestimmt einiges über ihre Geheimnisse verraten, auf die ich ziemlich neugierig bin. Und dafür werde ich mich beim Yoga ins Zeug legen. Sina meint zwar, Error hätte mehr Talent als ich, aber ich glaube, sie sagt das, um mich herauszufordern. Zumindest nimmt sie mich auffallend oft als Negativbeispiel und zeigt an mir, was die anderen bevorzugt falsch machen. Heute Morgen waren wir zusammen im »Sonnengruß-Kurs«, und ich habe mal wieder meine Schale geleert. Allmählich würde ich sie allerdings gern wieder füllen. Denn Sinas Rat, dass nur aus Emotionen Großartiges entstehen kann, hat bis jetzt nicht funktioniert. Vielleicht liebe ich meinen Beruf einfach nicht genug.
»Du siehst aufgeregt aus!«, stellt Jessica fest. »Hast ja auch allen Grund dazu.«
Zwei Wochen lang haben Jay, Thomas, Ben und ich an der Präsentation gesessen. Ohne Ergebnis. Oder besser gesagt: ohne gutes Ergebnis. Klar haben wir ein paar Ideen entwickelt, von High-Class-Fitness über Sparta-Fitness bis hin zu: alles verkaufen. Jay hat vorgeschlagen, einfach die Angestellten zu entlassen und das Studio in eine Art Selbstbedienungsladen zu verwandeln. Das sei wenigstens rentabel. Ben meinte, wir könnten es »EgoFit« nennen, weil man dort nur auf sich und sein Ego setze, was ja ein Trend der Zeit sei. Das ist unser Plan B. Das B steht für »Bis jetzt«. Die drei wären gern mit zur Präsentation gekommen. Thomas wollte sie sogar selbst halten. »No chance«, habe ich ihnen gesagt. »Das Backoffice heißt Backoffice, weil es ›back in the office‹ bleibt.«
Dort verbringe ich auch die meiste Zeit. Offiziell wohne ich immer noch zuhause. Im Gegensatz zu den anderen Unternehmensberatern bekomme ich so gut wie nie ein Hotel zu sehen. »Einerseits ist das ein Ansporn für dich, andererseits ist es am effektivsten«, meinte mein Vater. »Je mehr du mich siehst, desto mehr lernst du.« Direkt danach ist er weggeflogen. Zu irgendeinem Kunden. Und dann zum nächsten.
Ein Taxi hält, und mein Vater steigt aus. Obwohl er eben erst gelandet ist, wirkt er, als hätte er zwei Wochen Wellnessurlaub in der Karibik hinter sich. Der Fahrer hievt seinen schwarzen Rollkoffer aus dem Taxi, während mein Vater Jessica mit zwei Küsschen begrüßt und mich mit Handschlag.
»Wie sehe ich aus?«, will er wissen, obwohl er genau weiß, wie er aussieht: auf erwachsene Weise jung, auf zurückhaltende Weise dynamisch – und auf sympathische Weise unsympathisch. Oder kurz gesagt: besser als ich.
»Na, dann werden wir denen mal ein paar High Level Glossy Slides delivern, die den Process plotten!«, freut sich mein Vater.
Ich mache eine beschwichtigende Handbewegung. »Also eigentlich wollte ich bloß empfehlen, das gesamte Personal zu entlassen.«
Er grinst und haut mir auf die Schulter. »Du bist lustig. Aber im Ernst: Ich bin gespannt auf deine Ideen.«
»Ich habe keine Idee.«
Er deutet in Richtung Tür. »Dann lass dir schleunigst eine einfallen. Wir haben schon Präsentationen mit weniger als nichts gehalten. Hauptsache, du rettest die Agentur.«
Ich an seiner Stelle wäre nervöser, wenn es um mein Lebenswerk ginge. Seltsam. Ich schließe den Hemdknopf am Kragen und ziehe meine Krawatte wie ein Schloss darüber. Jessica öffnet mit ernstem Gesicht den obersten Knopf ihrer Bluse.
Mesut begrüßt uns mit Handschlag und bittet uns herein. Ich erkenne das Studio kaum wieder: Ein paar Grünpflanzen lockern das Ambiente auf, die Fitnessmaschinen glänzen wie neu, nur die Wände sehen immer noch so
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