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Helix

Helix

Titel: Helix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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bemerkt«, sagte Patek Georg, der sich mit den Sensoren des Schiffs verbunden hatte. »Saigyō, schalte doch bitte wieder die Fenster ein, mit der gleichen Vergrößerung wie vorhin.«
    Plötzlich war der Raum vom Licht der Sterne und von Sonnenlicht erfüllt, das der verflochtene orbitale Waldring reflektierte. Er ähnelte einer riesigen Bohnenranke und schmiegte sich rings um den hellen weißen Stern. Nur dass jetzt ein neues Detail auf dem Bild zu sehen war.
    »Ist das eine Übertragung in Echtzeit?«, flüsterte Dem Lia.
    »Ja«, bestätigte Saigyō. »Die Ousters haben offenbar den Strahl unseres Fusionstriebwerks bemerkt, als wir in das System eingedrungen sind. Jetzt kommen sie uns entgegen, um uns zu begrüßen.«
    Tausende, wenn nicht Zehntausende flatternder Lichter hatten den Waldring verlassen und lösten sich wie schillernde Libellen oder funkelnde Spinnennetze aus dem Dickicht der riesigen Blätter, der Borke und der Atmosphäre. Viele tausend Lichtpunkte waren unterwegs und näherten sich der Helix.
    »Könntest du das Bild noch etwas vergrößern?«, fragte Dem Lia.
    Eigentlich hatte sie sich an Saigyō gewandt, doch Kem Loi hatte sich bereits in die Optik des Schiffs eingeklinkt und schaltete um.
    Schmetterlinge aus Licht. Flügel, die hundert, zweihundert oder fünfhundert Kilometer weit aufgespannt werden konnten, fingen den Sonnenwind ein und schwebten auf den Kraftlinien des Magnetfelds, das von dem kleinen, hellen Stern ausging. Es waren mehr als nur Zehntausende geflügelter Engel oder Dämonen aus Licht, es waren Hunderttausende. Mindestens einige hunderttausend waren es.
    »Wollen wir hoffen, dass sie uns freundlich gesonnen sind«, sagte Patek Georg.
    »Wollen wir hoffen, dass wir uns noch mit ihnen verständigen können«, flüsterte die junge Den Soa. »Ich meine … in den letzten fünfzehnhundert Jahren können sie ihre eigene Evolution in wer weiß was für eine Richtung gelenkt haben.«
    Dem Lia legte die flache Hand auf den Tisch. Nicht sehr nachdrücklich, aber laut genug, dass alle es hören konnten. »Ich schlage vor, wir stellen die Spekulationen ein und hoffen das Beste und bereiten uns unterdessen auf die Begegnung vor, die stattfinden wird in …« Sie hielt inne.
    »In siebenundzwanzig Stunden und acht Minuten, wenn die Ousters in gleicher Weise weiterfliegen, um uns zu treffen«, warf Saigyō sofort ein.
    »Res Sandre«, sagte Dem Lia leise, »könnten Sie mit Ihrer Antriebs-KI dafür sorgen, dass die letzte Phase unseres Bremsschubes sanft genug ist, damit wir nicht Zehntausende dieser Ousters verbrennen, die kommen, um uns zu begrüßen? Das wäre ein schlechter Beginn für eine diplomatische Kontaktaufnahme.«
    »Falls sie in feindlicher Absicht kommen«, sagte Patek Georg, »wäre der Fusionsantrieb die stärkste Waffe, die wir überhaupt …«
    Dem Lia unterbrach ihn. Sie sprach leise, doch es war klar, dass sie keinen Widerspruch duldete. »Keine Diskussionen über einen Krieg gegen diese Ousters-Zivilisation, solange deren Motive nicht klar sind. Patek, Sie können alle Verteidigungseinrichtungen des Schiffs überprüfen, aber ich will in der Gruppe keine Diskussionen mehr über Offensivmaßnahmen, solange Sie und ich nicht unter vier Augen darüber gesprochen haben.«
    Patek Georg neigte den Kopf.
    »Gibt es sonst noch Fragen oder Anmerkungen?«, fragte Dem Lia. Niemand hatte etwas vorzubringen.
    Die neun Menschen erhoben sich vom Tisch und gingen ihren Aufgaben nach.
     
    Vierundzwanzig mehr oder weniger schlaflose Stunden später stand Dem Lia allein und groß wie eine Göttin mitten im System des weißen Sterns. Die G8-Sonne loderte nur wenige Meter von ihrer Schulter entfernt, der geflochtene Weltenbaum war so nahe, dass sie ihn mit ausgestreckter Hand hätte berühren und die göttliche Hand darum legen können. In Höhe ihrer Brust strömten die hunderttausend glänzenden Flügel zur Helix, deren Bremsstrahl inzwischen fast unsichtbar war. Dem Lia schwebte im freien Raum, ihre Füße standen im leeren schwarzen Weltraum, die Sterne und Sternbilder bildeten eine riesige Kuppel über ihr, und die Nebel der Milchstraße hüllten sie ein.
    Auf einmal gesellte sich Saigyō zu ihr. Der Mönch aus dem 10. Jahrhundert nahm seine gewohnte Haltung im virtuellen Raum ein: Im Schneidersitz schwebte er respektvoll einige Meter von Dem Lia entfernt knapp über der Ekliptik. Er trug kein Hemd und war barfuß, und sein runder Bauch bekräftigte die wohlwollende Ausstrahlung des

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