Hell's Angels (German Edition)
Polizei darauf aufmerksam geworden ist, bald wieder verschwinden werde.
Diese Sicht der Dinge ist beruhigend, und noch beruhigender wäre sie, wenn die Polizei sie teilte. Das tut sie aber leider nicht. Polizisten, die die Angels nur aus Presseberichten kennen, fürchten sich manchmal vor ihnen, aber aus Vertrautheit erwächst anscheinend Verachtung, und Polizisten, die die Angels aus eigener Erfahrung kennen, tun sie meist als überschätzte Gefahr ab. Andererseits machten sich mindestens neunzig Prozent der zahlreichen Polizeibeamten, mit denen ich in ganz Kalifornien gesprochen habe, große Sorgen wegen etwas, das sie als »Welle der Gesetzlosigkeit« bezeichneten oder als »gefährlichen Trend hin zu mangelndem Respekt vor Recht und Ordnung«. Ihnen erschienen die Hell’s Angels nur als Symptom für etwas viel Bedrohlicheres – einer heranrollenden Flut.
»Es sind vor allem die Teenager«, berichtete ein junger Streifenpolizist in Santa Cruz. »Vor fünf Jahren konnte man noch mit ihnen reden, konnte ihnen auf freundliche Art sagen, was man ihnen durchgehen lassen wird und was nicht. Die waren damals schon genauso wild, glaube ich, aber wenn man vernünftig mit ihnen geredet hat, haben sie einem zugehört.« Er zuckte mit den Achseln und nestelte an den Patronen Kaliber .38 Special an seinem Gürtel
herum. »Heute ist das völlig anders. Da weiß man nie, ob so ein Junge nicht versuchen wird, einen zu schlagen oder eine Pistole zieht oder einfach wegrennt. Die Dienstmarke eines Polizisten bedeutet denen gar nichts mehr. Die haben jeden Respekt davor verloren und auch jede Angst. Mann, ich würde lieber jeden Tag ein Dutzend Hell’s Angels hochnehmen als nur bei einer einzigen Schlägerei auf einer großen Highschool-Party dazwischen zu gehen. Bei den Motorradtypen weiß man wenigstens, womit man es zu tun hat, aber diese Jugendlichen sind zu allem fähig. Das ist mein Ernst, bei denen läuft es mir kalt über den Rücken. Früher habe ich die mal verstanden, aber das ist vorbei.«
Für die Trends und Probleme der Verbrechensbekämpfung haben sich die Angels jedoch nie interessiert, und obwohl ihr Verhältnis zur Oaklander Polizei zeitweilig recht entspannt war, sahen sie die Polizei immer noch ganz einfach als den Feind. Sie interessieren sich auch nicht für die emotionalen oder ideologischen Gemeinsamkeiten, die sie mit anderen rebellischen Gruppierungen haben. Für sie ist jeder Vergleich mit anderen entweder anmaßend oder eine Beleidigung. »Es gibt nur zwei Arten von Menschen auf der Welt«, erklärte mir Magoo eines Abends. »Angels und Leute, die gerne Angels wären.«
Doch das glaubt im Grunde nicht einmal Magoo. Wenn es auf einer Party hoch hergeht und es jede Menge Bier und Bräute gibt, ist es gar nicht mal schlecht, ein Angel zu sein. Aber an manchen dieser einsamen Nachmittage, wenn man gegen Zahnschmerzen ankämpft und versucht, ein paar Dollar zusammenzukratzen, um ein Bußgeld bezahlen zu können, und der Vermieter das Schloss der Wohnungstür ausgewechselt hat, und man den Schlüssel erst bekommt, wenn man die Miete zahlt, ist es kein Spaß, ein Angel zu sein. Das Lachen fällt einem
schwer, wenn die Zähne so verfault sind, dass sie ständig schmerzen, und jeder Zahnarzt die Finger davon lässt, solange man ihn nicht im Voraus bezahlt. Wenn also die körperliche Fäulnis anfängt wehzutun, ist es ein Trost zu glauben, der Schmerz sei nur ein kleiner Preis, den man für den großen Lohn zahlt, ein richtiger Angel zu sein.
Dieses wackelige Paradox ist eine Säule der Outlaw-Einstellung. Für einen Mann, der sich alle anderen Möglichkeiten verbaut hat, ist es ein unerschwinglicher Luxus, seinen Lebensstil zu ändern. Er muss aus dem Kapital schlagen, was ihm noch geblieben ist. Er kann es sich nicht leisten, sich einzugestehen – ganz egal, wie oft er auch daran erinnert wird –, dass ihn jeder Tag seines Lebens weiter in eine Sackgasse führt. Den meisten Angels ist bewusst, wo sie stehen, wenn auch nicht, warum sie dort stehen. Sie sind gut genug in die ewigen Wahrheiten eingeweiht, um zu wissen, dass nur die allerwenigsten Frösche dieser Welt verwunschene Prinzen sind. Die übrigen sind einfach nur Frösche und werden es auch bleiben, ganz egal, wie viele Zauberinnen sie küssen oder vergewaltigen. Frösche machen keine Gesetze und ändern auch keine grundlegenden Strukturen, aber ein oder zwei tief greifende Einsichten können die Art und Weise, wie sie durchs Leben gehen,
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