Hell's Angels (German Edition)
durchaus ändern. Ein Frosch, der sich verarscht vorkommt, ohne zu wissen, von wem eigentlich, wird der niederträchtigen, rachsüchtigen Form von Ignoranz, die das Menschenbild der Hell’s Angels prägt, meist wohlwollend gegenüberstehen. Geistig ist es kein großer Schritt von der Überzeugung, hereingelegt worden zu sein, zum Ethos der totalen Vergeltung oder zumindest jener Form von willkürlicher Rache, die dabei herauskommt, wenn man in krasser Weise gegen die allgemeine Moral verstößt.
Die Einstellung der Outlaws ist offenkundig asozial,
auch wenn die meisten Angels als Einzelmenschen im Grunde soziale Wesen sind. Dieser Widerspruch ist tief verwurzelt und hat Parallelen auf allen Ebenen der amerikanischen Gesellschaft. Soziologen bezeichnen das als »Entfremdung« oder »Anomie«. Es ist das Gefühl, von der Gesellschaft, zu der man eigentlich gehören sollte, abgeschnitten oder vergessen worden zu sein. In einer von starken Motivationen geprägten Gesellschaft sind die unter Anomie Leidenden normalerweise extreme Einzelfälle, deren Standpunkte zu unterschiedlich und deren Eigenarten zu privat sind, um sich darüber mit vielen anderen verständigen zu können.
In einer Gesellschaft ohne zentrale Motivation aber, die derart halt- und wurzellos ist, dass ihr Präsident [Eisenhower] es für nötig hält, eine Kommission für nationale Ziele einzusetzen, ist ein Gefühl der Entfremdung wahrscheinlich weit verbreitet – zumal bei Menschen, die jung genug sind, um sich kein schlechtes Gewissen einreden zu lassen, wenn sie Zielen nicht dienen wollen, die sie ohnehin nie verstanden haben. Sollen sich doch die alten Leute in Selbstmitleid suhlen, weil sie versagt haben. Die Gesetze, die sie machten, um einen Mythos am Leben zu erhalten, sind nicht mehr relevant; der so genannte American Way ähnelt mittlerweile eher einem Damm aus billigem Zement, mit viel mehr Lecks, als die Polizei Finger hat, sie zu stopfen. Amerika ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Brutstätte massenhafter Anomie. Das ist keine politische Angelegenheit, sondern rührt eher von neuen Realitäten her, von der Not, Wut und manchmal auch Verzweiflung in einer Gesellschaft, in der sich anscheinend selbst die höchsten Autoritäten an einen Strohhalm klammern.
Nach den Maßstäben unserer Great Society sind die
Hell’s Angels und ihresgleichen Verlierer – Aussteiger, Versager, verkrachte Existenzen. Sie sind Ausgestoßene, die nach einer Möglichkeit suchen, mit einer Welt, die sie nur als Problem empfindet, abzurechnen. Die Hell’s Angels sind keine Visionäre, sondern Reaktionäre, und wenn sie Vorreiter von irgendetwas sind, dann ganz gewiss nicht jener »moralischen Revolution«, die an den Colleges groß in Mode ist, sondern eher einer schnell wachsenden Armee junger, arbeitsfähiger Männer, die ihre überschüssige Energie unvermeidlich auf dem gleichen destruktiven Betätigungsfeld austoben wird, auf dem »Outlaws« wie die Hell’s Angels sich schon seit Jahren tummeln. Der Unterschied zwischen den radikalen Studenten und den Hell’s Angels besteht darin, dass die Studenten gegen die Vergangenheit aufbegehren, wohingegen die Angels gegen die Zukunft kämpfen. Gemeinsam ist ihnen einzig die Verachtung für die Gegenwart, den Status quo.
Selbstverständlich sind einige der radikalen Studenten in Berkeley und an vielen anderen Colleges und Universitäten ebenso wild und aggressiv wie die Hell’s Angels – und selbstverständlich sind nicht alle Angels grausame Schläger und potenzielle Nazis. Das trifft vor allem für jene Zeit zu, bevor die Angels so viel Publicity bekamen. Noch Anfang 1965 war es den meisten Angels schnurzpiepegal, was sich auf dem Berkeleyer Campus tat. Wenn sie wirklich gegen die Roten hätten hetzen wollen, hätten sie das bei Kundgebungen, bei denen Redefreiheit garantiert wurde, tun können. Dort aber ließen sie sich nicht blicken. Nicht einmal, um durch die Menge zu stolzieren, auf dass ihr Bild in die Zeitung kam. Und sie schikanierten auch keine Streikposten des Congress of Racial Equality, die ungefähr zur gleichen Zeit auf dem Jack London Square standen – mitten im Zentrum von Oakland! Selbst im
Frühjahr und Frühsommer 1965, als ihnen das Ausmaß ihrer Verrufenheit allmählich bewusst wurde, ließen sie noch etliche einmalige Gelegenheiten ungenutzt verstreichen, mit Bürgerrechts- und Anti-Vietnamkriegs-Demonstranten aneinander zu geraten. Das interessierte sie einfach nicht.
Weitere Kostenlose Bücher