Hell's Angels (German Edition)
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Trotz Ginsbergs eindringlicher Bitte erzählte mir Sonny eine Woche vor der Demonstration, er werde dort mit »der größten Gruppe von Outlaw-Bikes auftauchen, die man in Kalifornien je gesehen hat«. Ginsberg und seine Freunde meinten es ja gut, sagte er, aber die verstünden einfach nicht, was vor sich ging. Daher war es eine große Überraschung, als die Angels am 19. November – dem Tag vor dem Protestmarsch – eine Pressekonferenz einberiefen, um bekannt zu geben, dass sie nicht auf die Barrikaden gehen würden. Die Erklärung dafür, die als Pressemitteilung verteilt wurde, lautete: »Obwohl wir die Absicht bekundet haben, eine Gegendemonstration gegen diese verabscheuungswürdigen, unamerikanischen Aktivitäten zu veranstalten, sind wir der Auffassung, dass wir im Interesse der öffentlichen Sicherheit und der Wahrung des guten Namens der Stadt Oakland dem VDC durch unsere Gegenwart keine Rechtfertigung liefern sollten ...denn unsere patriotische Besorgnis darüber, was diese Leute unserer großen Nation antun, könnte uns zu
Gewalttaten verleiten ... [und] jeder gewaltsame Zusammenstoß würde nur Mitgefühl mit diesem Verräterpack produzieren.«
Der Höhepunkt der Pressekonferenz kam, als Barger ein Telegramm verlas, das er an Seine Exzellenz, den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gesandt hatte:
PRÄSIDENT LYNDON B. JOHNSON
1600 Penn Avenue
Washington D. C.
Sehr geehrter Mr. President,
in meinem und im Namen meiner Kameraden biete ich Ihnen eine Gruppe loyaler Amerikaner für den Dienst hinter den feindlichen Linien in Viet Nam an. Wir glauben, ein Topteam gut geschulter Gorillakämpfer [sic] würde den Viet Cong demoralisieren und die Sache der Freiheit voranbringen. Wir stehen sofort für Ausbildung und Einsatz zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen,
RALPH BARGER JR
Oakland, Kalifornien
Präsident der Hell’s Angels
Aus unerfindlichen Gründen versäumte es Mr. Johnson, aus Bargers Angebot Kapital zu schlagen, und die Angels gingen nicht nach Vietnam. Sie sprengten aber auch nicht den Protestmarsch am 20. November, und manche Leute meinten, das sei ein Zeichen dafür, dass die Outlaws Vernunft annähmen.
Wir haben in dieser Gemeinde kein Problem mit der Polizei – wir haben ein Problem mit der Bevölkerung. – Ehemaliger Polizeichef von Oakland
Ungefähr zu diesem Zeitpunkt begann mein lange währendes gutes Verhältnis zu den Angels allmählich den Bach hinunterzugehen. Die Sache verlor eindeutig an Witz, als sie anfingen zu glauben, was über sie in der Zeitung stand, und es machte keinen Spaß mehr, mit ihnen zu trinken. Selbst ihre Namen büßten jede Magie ein. Statt Bagmaster, Scuzzy und Hype hießen sie Luther Young, E. O. Sturm und Norman Scarlet III. Da war nichts Geheimnisvolles mehr; eine große Medienpräsenz hatte die Bedrohung auf einen banalen Nenner gebracht, und je durchschaubarer ihr Image wurde, desto mehr verlor es seinen Reiz.
Neun Monate lang hatte ich in einer Welt gelebt, die mir zunächst wie etwas sehr Urwüchsiges erschienen war. Mir war von Anfang an klar gewesen, dass die Angels wenig Ähnlichkeit mit dem Bild hatten, das die Presse von ihnen schuf, aber es hatte Spaß gemacht, sich gemeinsam mit ihnen über das Aufsehen zu amüsieren, das sie erregten. Später, als sie dann mehr und mehr Aufmerksamkeit auf sich zogen, verbrauchte sich dieser geheimnisvolle Nimbus allerdings. Als ich eines Nachmittags im El Adobe saß und zusah, wie ein Angel zwei pickligen, höchstens sechzehnjährigen Jungen eine Hand voll Barbiturat-Tabletten verkaufte, wurde mir bewusst, dass diese Aktion nicht in einem ehrwürdigen amerikanischen Mythos wurzelte, sondern in einer neuen Art von Gesellschaft, die gerade erst Gestalt annimmt. Die Angels als Hüter der Tradition des »Individualismus« zu sehen, »der dieses Land groß gemacht hat«, wäre nur eine einfache Methode, sich davor zu drücken, sie als das zu sehen, was sie wirklich sind – die
erste Welle einer Zukunft, auf die uns nichts in unserer Geschichte vorbereitet hat. Die Angels sind Prototypen. Ihr Mangel an Bildung hat sie nicht nur völlig nutzlos für eine hoch technisierte Wirtschaft gemacht, sondern ihnen auch die Muße geliefert, ein starkes Ressentiment zu kultivieren – und aus diesem Ressentiment einen destruktiven Kult zu begründen, den die Massenmedien auf Biegen und Brechen als Kuriosität darstellen, als flüchtiges, isoliertes Phänomen, das nun, da die
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