Hell's Angels (German Edition)
zufrieden mit der Welt, brütete deshalb jedoch nicht die ganze Zeit vor sich hin, und seine Rachegelüste beschränkten sich auf bestimmte Anlässe, bei denen man den Angels oder ihm persönlich etwas angetan hatte. Man konnte mit Miles trinken, ohne ständig damit rechnen zu müssen, dass er jemanden schlagen oder das Geld klauen würde. Das war nicht seine Art. Alkohol schien ihn nur noch freundlicher zu machen. Wie die meisten Anführer der Angels verfügte er über einen wachen Verstand und eine Selbstbeherrschung, auf die sich die anderen verlassen konnten.
Als ich von seinem Tod erfuhr, versuchte ich Sonny anzurufen, um mich nach dem Begräbnis zu erkundigen, aber als ich ihn dann endlich erreichte, hatten das Radio und die Zeitungen schon über die Einzelheiten berichtet. Miles’ Mutter ließ ihn in Sacramento beisetzen. Die Karawane der Outlaws würde am Donnerstagmorgen um elf Uhr vor Bargers Haus aufbrechen. Die Angels haben schon an einer Menge Beerdigungen ihrer eigenen Leute teilgenommen, hatten aber noch nie versucht, in einem Tross neunzig Meilen auf einem großen Highway zurückzulegen.
Und es war anzunehmen, dass die Polizei von Sacramento versuchen würde, sie nicht in die Stadt zu lassen.
Die Nachricht wurde am Montag und Dienstag telefonisch verbreitet. Das würde keine Bestattung wie bei Jay Gatsby; die Angels wollten eine Rallye mit allem Drum und Dran. Dabei ging es nicht um Miles’ Status; der Tod jedes Angels erfordert, dass die anderen Stärke demonstrieren. Das ist eine Form der Bestätigung – nicht für den Toten, sondern für die Lebenden. Fürs Nichterscheinen gibt es keine festgesetzten Strafen, aber das ist auch nicht nötig. In der traurigen Isolation, die das alles beherrschende Faktum im Leben eines jeden Outlaws ist, dient eine Beerdigung als düstere Mahnung, dass der Clan nun einen Mann weniger zählt. Der Kreis ist um ein Mitglied geschrumpft, der Feind hat seine Übermacht ein klein wenig weiter ausgebaut, und die Verteidiger des Glaubens brauchen etwas, woran sie ihr Herz wärmen können. Ein Begräbnis ist eine Gelegenheit, die Getreuen zu zählen, zu sehen, wie viele noch übrig sind. Da ist es keine Frage, dass man blaumacht, eine Nacht nicht schläft oder stundenlang gegen kalten Wind anfährt, um pünktlich zur Stelle zu sein.
Früh am Donnerstagmorgen trafen die ersten Biker in Oakland ein. Die meisten Outlaws waren bereits in der Bay Area oder zumindest im Umkreis von fünfzig oder sechzig Meilen, aber eine Hand voll Satan’s Slaves fuhren die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag die ganzen fünfhundert Meilen aus Los Angeles durch, um sich der großen Karawane anzuschließen. Andere kamen aus Fresno, San Jose und Santa Rosa. Da waren Hangmen, Misfits, Presidents, Nightriders, Crossmen und auch einige ohne Colour. Ein kleiner Mann mit harten Gesichtszügen, mit
dem niemand sprach, trug eine olivgrüne Bomberjacke mit dem Aufdruck »Loner« , Einzelgänger, auf dem Rücken, in kleinen blauen Lettern, die aussahen wie eine Unterschrift.
Ich fuhr gerade über die Bay Bridge, als ein Dutzend Gypsy Jokers an mir vorbeidonnerten. Sie ignorierten das Tempolimit, teilten sich auf und überholten meinen Wagen rechts und links. Nur Sekunden später waren sie vor mir im Nebel verschwunden. Es war ein kalter Morgen, und von den Bikern abgesehen, war auf der Brücke wenig Verkehr. Unten in der Bucht warteten Frachter in einer langen Reihe auf einen freien Pier.
Der Zug brach pünktlich um elf Uhr auf – hundertfünfzig Motorräder und etwa zwanzig Autos. Ein paar Meilen nördlich von Oakland, an der Carquinez Bridge, kam eine Polizeieskorte dazu, die dafür sorgen sollte, dass die Outcasts keinen Ärger machten. Ein Wagen der Highway Patrol führte die Karawane die ganze Strecke bis nach Sacramento an. Die Angels fuhren jeweils zu zweit nebeneinander auf der rechten Spur, mit konstant 65 Meilen die Stunde. An der Spitze, bei Barger, fuhr die schmuddelige Prätorianergarde: Magoo, Tommy, Jimmy, Skip, Tiny, Zorro, Terry und Charger Charley the Child Molester. Das Spektakel brachte auf der gesamten Strecke den Verkehr zum Erliegen. Es sah aus wie etwas aus einer anderen Welt. Da war »der Abschaum der Menschheit«, »die niederste Tierform«, eine Armee ungewaschener Gruppenvergewaltiger – und sie wurden von einem Wagen der Highway Patrol mit Blaulicht in die Hauptstadt Kaliforniens eskortiert. Das konstante Tempo des Zugs verlieh ihm etwas ungewöhnlich Feierliches.
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