Hell's Angels (German Edition)
Motorräder wider: In New York waren 1964 gerade einmal 23.000
Maschinen zugelassen, wohingegen es in Kalifornien 203.420 waren – grob gerechnet ein Verhältnis von 9 zu 1. Andererseits gab es 1964 bereits mehr als doppelt so viele Motorräder in New York wie 1961, als dort lediglich 10.000 zugelassen waren. 19
Die Ein-Prozent-Trickserei der AMA aufgreifend, könnte ein Soziologe aus diesen Zahlen schließen, dass es bis 1970 allein in New York gut fünfhundert potenzielle Hell’s Angels geben wird – gut fünf Mal so viele wie die Gruppe zählte, der es 1965 gelang, die überregionale Presse im Sturm zu erobern – und dass 1970 jedes Angel-Chapter einen Presseagenten haben wird. Nach Angaben der Motorradindustrie waren 1965 in den Vereinigten Staaten fast 1.500.000 Motorräder zugelassen, wobei man im Schnitt von vier Fahrern pro zugelassenem Motorrad ausgeht. (Das ist eine völlig unrealistische Zahl; 5 zu 1 träfe es eher.) Nach Angaben der Industrie ergeben sich daraus über sechs Millionen Motorradfahrer, davon über eine Million in Kalifornien. (Auch das ist fraglich; nicht nur beruht es auf der unfundierten Zahl von vier Fahrern pro Motorrad, sondern indem man den Begriff »Motorrad« ohne jede weitere Spezifizierung benutzt, beschwört man das Bild herauf, dass es auf den Freeways Kaliforniens vor schweren Maschinen nur so wimmelt.)
In anderen Zusammenhang gestellt, wirken diese Zahlen weniger bedrohlich. Der Zeitschrift Cycle World und der Los Angeles Times zufolge »konzentriert sich das beschleunigte Wachstum des Motorradmarktes auf die
leichten Maschinen, die neunzig Prozent des Marktes ausmachen.« Was die Industrie als leichte Maschine bezeichnet, ist etwas gänzlich anderes als ein »Chopped Hog«, eine Harley 74. Der Großteil dieser leichten Maschinen werden laut Cycle World »zum Spaß gefahren, auf dem Schulweg und von Sportfahrern im Gelände.« Mit anderen Worten: Das Verkaufsrezept auf dem heutigen Motorradmarkt lautet: »Weniger Gewicht und ein kleiner Motor steht für ›Spaß‹ und Anständigkeit.« Und auf dieser Grundlage rechnet die Branche für 1967 (nach dem 4-zu-1-Schema pro Motorrad) mit einem harten Kern von 8.894.000 Motorradfahrern in den Vereinigten Staaten. Diese Branchenzahlen sind abermals künstlich aufgebläht, aber wenn man die zunehmende Beliebtheit zweirädriger Verkehrsmittel bedenkt, wäre eine Zahl von, sagen wir mal, sechs Millionen für 1967 nicht unwahrscheinlich – und das würde natürlich sechzigtausend Wandalen bedeuten und damit das Ende der zivilisierten Welt.
In finanzieller Hinsicht ist die Motorradindustrie eine Goldgrube. Einer meiner immer wiederkehrenden Albträume geht zurück aufs Jahr 1958. Ich bin gerade in New York angekommen, mit einem Budget von tausend Dollar, und eines frischen Oktobernachmittags komme ich aus der U-Bahnstation am Times Square. Ich weiche etlichen Bettlern aus, einer Gruppe Junkies, zwei Transvestiten und einem Zeugen Jehovas, der redet wie Elmer Fudd, und werde dann, auf einer engen Stelle des Gehsteigs vor dem Rekrutierungsbüro der US Army, von einem ungepflegten jungen Japaner aufgehalten, der behauptet, einer der Honda-Brüder zu sein. Er ist völlig pleite und verzweifelt, braucht Geld für ein Flugticket zurück nach Tokyo, und für 894 Dollar bietet er an, mir seinen Anteil
an dem Unternehmen überschreiben zu lassen, wir können das gleich bei jedem beliebigen Notar, den ich ihm nenne, in trockene Tücher bringen. Er zeigt mir seinen Pass und einen zerknitterten Stapel Motorrad-Blaupausen; und er ist zweifellos einer der Honda-Söhne. Ich höre ihm zu, lächle dabei wissend und erkaufe mir mit einem silbernen Vierteldollar und einer Wertmarke für die U-Bahn, dass er mich vorbeilässt, weise mit bescheuerter Bestimmtheit mein Glück zurück und eile weiter zu irgendeinem fruchtlosen Vorstellungsgespräch.
Auch heute noch sollte jeder Mann, der nicht zu dumm ist, um ein Loch in den Schnee zu pinkeln, von dem ganzen Geld, das er womöglich für ein neues Motorrad ausgeben will, doch lieber Honda-Aktien kaufen – oder Aktien eines der etwa dreißig anderen Motorradhersteller, auch von Harley-Davidson, die trotz ihres steinzeitlichen Management- und Technikkonzepts immer noch der einzige amerikanische Motorradbauer sind.
Die Geschichte der Firma Harley-Davidson und des inländischen Motorradmarktes ist eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte des freien Unternehmertums der USA. Ende des Zweiten
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