Hell's Angels (German Edition)
Regale. Die fünf oder sechs Autofahrer an den Zapfsäulen blieben in ihren Wagen sitzen und sahen zu. Die Tankwärter gingen vorsichtig umher und hofften, dass kein Outlaw versuchen würde, vor ihren Augen etwas zu klauen. Bei offenkundigem Diebstahl musste etwas unternommen werden, und das wollte niemand. Jeder, der schon einmal mit einer Gruppe von Angels zu tun hatte, wird zustimmen, dass dies einer der unangenehmsten Aspekte ist: An welchem
Punkt fängt man an, wegen kleiner Diebstähle, Beleidigungen oder Beschädigungen zu protestieren, auf die Gefahr hin, einen Streit vom Zaun zu brechen, der zu einer blutigen Schlägerei führen könnte? Ist es nicht billiger, eine Rowdy-Karawane mit zehn unbezahlten Dosen Öl und fünf Mal gratis Volltanken davonfahren zu lassen – oder sollte man seine Zähne und Flachglasfensterscheiben aufs Spiel setzen, indem man darauf beharrte, dass die Outlaws alles, was sie mitnahmen, auch bis auf den letzten Penny bezahlten? Für einen Angestellten ist das ein besonders schwerwiegendes Dilemma. Ein Tankwart, der mit einer Bande Hell’s Angels zu tun bekommt, gleicht dem Kassierer einer Bank, vor dem ein bewaffneter Räuber steht. Sollte ein Tankwart riskieren, zusammengeschlagen zu werden, wo ein Kassierer sein Leben wohl selten dafür aufs Spiel setzen würde, um das versicherte Geld einer Bank zu beschützen?
Wenn die Angels cleverer wären, würden sie sich an Tankstellen halten, die von Pächtern betrieben werden und deren Inhaber gerade nicht da sind. Der Unterschied ist für jeden, der einmal selbst als Tankwart gearbeitet hat, und das haben viele Outlaws, leicht zu erkennen. Aber als Gruppe halten sie weit blickendes Verhalten für unter ihrer Würde und verlassen sich auf mutwillige Ignoranz, und das führt gelegentlich dazu, dass sie sich eine Tankstelle aussuchen, deren Besitzer tagaus tagein zwölf Stunden dort schuftet, nachdem er die gesamten Ersparnisse seines Lebens in diesen Betrieb investiert hat, und dessen ganzer Körper bei der Aussicht darauf, von einer Gangsterbande schikaniert zu werden, voll gepumpt ist mit Adrenalin. Solche Leute haben in der Registrierkasse oder im Werkzeugregal einen Revolver liegen oder tragen – in häufiger von Räubern heimgesuchten Gegenden
– sogar einen in einem Schulterholster unter ihrer freundlichen Dienstjacke. Die meisten Tankstellenzwischenfälle der Angels betreffen Tankstellenbesitzer, die in Panik geraten oder allein bei ihrem Anblick schon einen Wutanfall bekommen.
Manchen Leuten gelingt es, die harte Tour durchzuziehen, bei anderen aber geht das jämmerlich in die Hose. Die Angels fürchten diese »Irren«, wie sie sie nennen, denn die neigen dazu, zu schießen – ob sie nun keinen oder den allerbesten Grund dazu haben. Aber Gnade Gott einem Manne, der eine Schusswaffe auf eine Gruppe Hell’s Angels richtet und sie dann abgenommen bekommt. Zu diesem Thema gibt es einige schaurige Geschichten, und in jedem Fall hätten sich die Opfer retten können, indem sie einfach geschossen und sich anschließend auf Notwehr berufen hätten. Auf der Werteskala der Angels kommt gleich nach einem feigen Verräter jemand, der sich erst als großmäuliger Widersacher aufspielt, es dann aber nicht schafft, die Sache bis zum Ende durchzuziehen. Solche Leute bekommen das volle Maß der Vergeltung zu spüren – die brutale Verachtung für einen Mann, der es nicht schafft, nach ihren eigenen Regeln mit ihnen fertig zu werden.
Merkwürdig daran ist, dass die Angels ihre eigenen Regeln – oder das, was ihre Regeln zu sein scheinen – recht flexibel auslegen. Bei Aktionen außerhalb ihres Heimatreviers sind sie im Allgemeinen dankbar für Leute, die nicht das Vorurteil haben, man könne ihnen nur gewaltsam begegnen. Sie sind sich ihres Rufs als Krawallmacher so bewusst, dass es ihnen ein perverses Vergnügen bereitet, auch einmal ruhig und freundlich zu sein.
Ein Tankstellenbesitzer aus der Nähe von Angels Camp in der Sierra Nevada (dem Schauplatz von Mark Twains
Geschichte »Der berühmte Springfrosch von Calaveras County«) erinnert sich voller Furcht und Verwunderung an seine erste Konfrontation mit den Hell’s Angels:
»Etwa dreißig von ihnen kamen eines Nachts in meine Tankstelle gerauscht. Sie sagten, sie bräuchten einen Ort, an dem sie an ihren Maschinen arbeiten könnten. Ich habe sie nur kurz angesehen, ihnen dann gesagt, sie könnten den Laden haben und mich dann ganz schnell vom Acker gemacht.«
Das war für
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