Hell's Angels (German Edition)
Doch die paar, die schuld an dem ganzen Ärger sind, werden in anständigen Kreisen nicht mehr geduldet. Im Biker-Sprachgebrauch werden sie zu »Unabhängigen«, aber diese Bezeichnung ist irreführend, denn jeder Motorradfahrer, der sie auf sich anwendet, ist sowieso schon ein Outlaw. Ihm fehlt einzig und allein noch ein Club, dem er beitreten kann, und früher oder später wird er einen finden. Die Motorrad-Bruderschaft
ist sehr eng – und zwar diesseits wie jenseits der Legalität –, und die beiden extremsten Standpunkte werden dabei von der American Motorcycle Association und den Hell’s Angels vertreten. Es gibt da keinen Mittelweg, und Leute, die das Motorradfahren so ernst nehmen, dass sie einem AMA-Club beitreten, werden es nicht leicht nehmen, wenn man sie rausschmeißt. Wie Menschen, die zum Kommunismus oder zum katholischen Glauben konvertiert sind, nehmen Hell’s Angels, die früher einmal AMA-Mitglieder waren, ihre Outlaw-Rolle besonders ernst.
Die Angels sind persönlich viel zu chaotisch, um eine klare Sicht der Verhältnisse zu haben, aber sie bewundern Intelligenz, und einige ihrer Anführer sind erstaunlich redegewandt. Für die Chapter-Präsidenten gibt es keine festgesetzte Amtsdauer, und starke Präsidenten wie Barger bleiben unangefochten, bis sie entweder ins Gefängnis müssen, umkommen oder eigene Gründe finden, die Kutte an den Nagel zu hängen. Die Outlaws haben großen Respekt vor Macht, auch wenn sie ihr eigenes Bild davon erschaffen haben. Trotz der anarchischen Freiheit, die die von ihnen gefahrenen und verehrten Maschinen ermöglichen, beharren sie darauf, in ihrem Leben ginge es vor allem darum, ein »richtiger Angel zu sein«, wozu erforderlich ist, dass man der Parteilinie getreulich folgt. Sie sind sich ihrer Zugehörigkeit sehr bewusst und wissen, dass sie sich aufeinander verlassen können. Deshalb blicken sie auf die Unabhängigen herab, die sich meist, wenn sie erst einmal das Bezugssystem der Outlaws übernommen haben, so isoliert fühlen, dass sie fast alles tun würden, um in einen Club aufgenommen zu werden.
»Ich weiß nicht warum«, sagte ein Ex-Angel, »aber
man war geradezu gezwungen, einem Club beizutreten. Wenn man das nicht machte, wurde man nirgends akzeptiert. Wenn du kein Colour trägst, sitzt du gewissermaßen zwischen den Stühlen und bist ein Nichts.«
Dieses starke Zusammengehörigkeitsgefühl trägt viel zum geheimnisvollen Nimbus der Outlaws bei. Wenn die Hell’s Angels, wie sie freimütig zugestehen, Ausgestoßene der Gesellschaft sind, ist es umso nötiger, dass sie einander gegen Angriffe der »anderen« verteidigen – der fiesen Spießer, feindlicher Banden oder der bewaffneten Handlanger des Systems. Wenn ein einzelner Angel verprügelt wird, fühlt sich jeder Angel bedroht. Sie sind derart in ihre eigene Gedankenwelt eingesponnen, dass sie sich nicht vorstellen können, dass jemand ihre Clubfarben herausfordert, ohne darauf vorbereitet zu sein, es mit der gesamten Armee aufzunehmen.
Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt. – Matthäus 22.14
Seit den Enthüllungen des Lynch-Berichts haben die Angels so viele Bewerbungen um Mitgliedschaft zurückgewiesen, dass einer von ihnen sagte, es sei »wie eine Heuschreckenplage«. Diese Möchtegern-Angels waren größtenteils Unabhängige, die mit einem Mal ein Bedürfnis nach Kameradschaft und Status verspürten. In einem Fall ließen sich die Angels dazu herab, einen kompletten Club zu schlucken: die Question Marks aus Hayward, die dann das Hayward-Chapter der Hell’s Angels wurden. Andere Lizenz-Bewerbungen gingen aus Indiana, Pennsylvania, New York, Michigan und sogar Quebec ein. Und wenn sie keine Lizenz bekamen, fabrizierten einige Motorradclubs im Osten einfach
ihre eigenen Insignien und nannten sich Hell’s Angels. 18
Es wird den Angels nicht schwer fallen, ihren Namen in den Osten der USA zu exportieren 19 , aber das alltägliche Leben eines Outlaw-Motorradfahrers in Kalifornien lässt sich nicht so ohne weiteres verpflanzen. Motorräder sind etwas für schönes Wetter; sie sind gefährlich und unbequem, wenn es regnet oder schneit. Eine Motorradbande in New York, Chicago oder Boston könnte nur wenige Monate im Jahr in der raumgreifenden Art der Hell’s Angels operieren, wohingegen sich die Outlaws in Kalifornien – vom Gebirge einmal abgesehen – frei bewegen können, wann immer sie Lust dazu verspüren. Dieser Faktor spiegelt sich in der Zahl der verkauften
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