Hell's Angels (German Edition)
Falls es sich um eine Zeugin oder ein weibliches Opfer handelt, sind die Partnerinnen der Angels anscheinend bereit, sich zur Verhinderung von Aussagen an den Drohungen zu beteiligen. Ein praktisches Problem, das in zahlreichen Fällen aufgetreten ist, besteht darin, dass sowohl Opfer als auch Zeugen im Allgemeinen aus dem gleichen Milieu stammen wie die Hell’s Angels. Es mag zwar zu Gruppenvergewaltigungen und erzwungenen sexuellen Perversionen gekommen sein, Opfer und Zeugen entstammen aber nur selten einer höheren gesellschaftlichen Schicht und unterliegen daher dem Sittenkodex der »Halbwelt«. Man geht davon aus, dass die einzige praktikable Methode zur Lösung dieses Problems darin besteht, dass die ermittelnden Beamten es akzeptieren und alles Mögliche unternehmen, um sowohl vor als auch nach dem Gerichtsverfahren die Zeugen zu beschützen.
Nicht allzu viele Angehörige der Kneipen- und Halbwelt werden in diesen Worten Trost finden. Die Angels und ihre Verbündeten sind ziemlich nachtragend, auch dann noch, wenn die Polizei es nicht mehr für nötig hält, Zeugen zu beschützen – und Polizisten neigen dazu, knapp fünf Minuten nachdem die Geschworenen zu einem Urteil gekommen sind, das Interesse an den Belastungszeugen zu verlieren. Kein Barkeeper, der dafür gesorgt hat, dass ein Angel festgenommen wurde, wird jemals etwas anderes als Panik empfinden, wenn er Motorradlärm auf
der Straße hört und dann das Stiefelgetrampel, das sich seiner Tür nähert. Die Angels verfolgen ihre Feinde nicht gezielt von Ort zu Ort, aber sie verbringen so viel Zeit in Kneipen, dass sie überall irgendwann einmal durstig auftauchen werden. Und ist der Feind erst einmal lokalisiert, spricht sich das schnell herum. Es braucht nur zwei oder drei Angels und höchstens fünf Minuten, um aus einer Kneipe Kleinholz zu machen und einen Mann krankenhausreif zu schlagen. Wahrscheinlich werden sie nicht mal dafür belangt – aber selbst wenn, macht das den Schaden auch nicht ungeschehen.
Ein ausgegucktes Opfer – jemand wie der Barbesitzer in South Gate, der beim ersten Angriff lediglich die Beschädigung einer Umzäunung zu beklagen hatte – wird stets wissen, dass sein Lokal sich durch etwas von anderen unterscheidet: Er ist gezeichnet, und solange es noch Hell’s Angels oder Satan’s Slaves gibt, besteht die Möglichkeit, dass einige von ihnen wiederkommen, um die Sache zu Ende zu bringen.
Die Hierarchie unter den Outlaw-Banden ist ständig im Fluss, aber der allgemein herrschende Geist ist heute kein anderer als 1950, als im langen Schatten der Booze Fighters das erste Angel-Chapter gegründet wurde. Die Grunddefinition bleibt die gleiche: ein gefährlicher Typ auf einem großen, schnellen Motorrad. Und seit Jahren bringt Kalifornien sie hervor. Viele von ihnen sind unabhängig und unterscheiden sich von den Hell’s Angels nur hinsichtlich der Beschriftung auf dem Rücken – »No Club« oder »Lone Wolf« oder manchmal auch nur »Fuck You«. Vielleicht fünfhundert von ihnen, auf jeden Fall keine tausend, gehören Clubs wie den Gypsy Jokers, Nightriders, Commancheros, Presidents und Satan’s Slaves an. Gut hundertfünfzig von ihnen – das ist
der Stand von 1966 – bilden die Outlaw-Elite, die Hell’s Angels.
Der einzige Unterschied zwischen den Hell’s Angels und den anderen Outlaw-Clubs besteht darin, dass die Angels extremer sind. Die meisten anderen sind Teilzeit-Outlaws, die Angels aber spielen diese Rolle sieben Tage die Woche: Sie tragen ihre Kutte auch daheim, auf der Straße und manchmal sogar bei der Arbeit; und sie fahren auf ihrem Motorrad wegen einer Flasche Milch zum Laden um die Ecke. Ein Angel fühlt sich ohne seine Kutte nackt und verletzlich – wie ein Ritter ohne Rüstung.
In Sacramento fragte einmal ein Polizist einen 1,65 großen, sechzig Kilo schweren Angel: »Und was ist so reizvoll daran?«
»Solange ich die Kutte anhab, geht mir keiner auf den Sack«, antwortete der.
Die Trennungslinie zwischen den Outlaws und der spießigen Mehrheit kann jederzeit überschritten werden, und viele anständige Clubs haben schon von heute auf morgen ihr Image versaut. Dazu braucht es weiter nichts als einen Tumult, einen Polizeibericht und ein wenig öffentliche Aufmerksamkeit – und mit einem Mal sind sie Gesetzlose. In den meisten Fällen führt das dazu, dass sich der Club auflöst, wobei eine Mehrheit der einstmaligen Mitglieder gekränkt und schockiert ist, dass so etwas passieren konnte.
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