Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
überhaupt zwischen den Generationen gebe es zu wenig Gespräche. Einen der Gründe für diese Entwicklung sieht er in der wachsenden Verbreitung und Popularität des Fernsehens, das sich inzwischen alle Gruppen vom jungen Single (das Wort gab es damals noch nicht) bis zu Rentnerin und Rentner leisten können. Zwar ist das Fernsehverhalten von damals nicht mit dem von heute vergleichbar – es gab nur drei Programme, und die sendeten erst vom Nachmittag an –, doch das Fernsehen entwickelte sich bereits zum vollwertigen Familienmitglied. „Das Fernsehen bekommt in manchen Familien die Rolle des Babysitters“, hat Helmut Schmidt beobachtet. Oft soll es auch die Partnerin, den Partner ersetzen. „Unsere Gemeinschaft, unser Land würde dabei gewinnen, wenn der Fernseher häufiger ausgeschaltet bliebe.“
Ein Jahr später, 1979, wird Helmut Schmidt im „Spiegel“ aus einer Kabinettssitzung zitiert, bei der die geplante Einführung von „Kabelfernsehen“ diskutiert worden ist. Kabelfernsehen macht die Ausstrahlung zahlreicher weiterer Kanäle, etwa von neuen, privaten Anbietern möglich. Helmut Schmidt soll im Kabinett gesagt haben: „Wir dürfen nicht in Gefahren hineintaumeln, die akuter und gefährlicher sind als die Kernenergie.“ Dies könne die Strukturen der demokratischen Gesellschaft verändern.
Helmut Schmidt setzt diese Haltung in aktive Politik um: Solange er Bundeskanzler ist, liegt die Verkabelung zwischen Flensburg und Rosenheim auf Eis. Es ist ein Treppenwitz der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte, dass nicht die Sozialdemokraten, die Verfechter von mehr Demokratie und politischem Diskurs, das Privatfernsehen aus der Taufe heben werden, sondern die Union. Ihr erster Kanzler wollte ein „Adenauer-Fernsehen“ schaffen. Unternehmer sollten Unionspolitik über das neue Medium transportieren. Die Union steht bis heute in dem Ruf, brutalstmöglich in Rundfunkanstalten hineinzuregieren.
Helmut-Schmidt-Biografen wie Mainhardt Graf von Nayhauß haben bezweifelt, dass Helmut Schmidt die Idee eines fernsehfreien Tages selbst hatte. Mag der Vorschlag auch aus seinem Stab gekommen sein: Er hat sich das Thema zu eigen gemacht, bis heute. Keine Politikerin, kein Politiker kritisiert die „Mediendemokratie“, die seit Mitte / Ende der achtziger Jahre auch in der Bundesrepublik Deutschland entstanden ist, so sehr wie Helmut Schmidt. Der erste Bundeskanzler, der triftige Entscheidungen nicht mehr im Parlament, sondern vor Fernsehkameras verkündete (etwa die Ausrufung von Wolfgang Schäuble zum „Kronprinzen“), war Helmut Kohl, der direkte Nachfolger von Helmut Schmidt im Kanzleramt.
Mit dem sogenannten dualen System, dem Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk, erlebte das Medium Fernsehen einen Machtzuwachs, der es – neben Parlament, Regierung und Gerichten – zur vierten Gewalt im Staat werden ließ. Helmut Schmidt, inzwischen Altbundeskanzler, begleitet die Entwicklung mit wachsender Sorge und immer harscheren Worten. Hatte er in den achtziger Jahren noch Talkshows besucht, geht er seit den neunziger Jahren nur noch vor die Kamera, wenn er „ausreden“ darf. Die Probleme, so sein Credo, sind zu kompliziert geworden, als dass sich die Zusammenhänge in einer Minute und 30 Sekunden erklären ließen. Er ist es ja schließlich auch anders gewohnt: In den Jahren, als er Bundeskanzler war, räumten ihm die Nachrichtensendungen von ARD und ZDF minutenlange Statements ohne Unterbrechung ein.
Helmut Schmidts Abneigung gegen politische Talkshows geht so weit, dass er in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ Politiker dazu aufrief, die Teilnahme an solchen Sendungen „den Wichtigtuern“ zu überlassen.
In Talkshows gehen nur Politiker, gibt er im Gespräch mit Giovanni di Lorenzo zu Protokoll, „die keine Bücher schreiben, die zu lesen sich lohnt, die keine Debattenreden halten, die zu verfolgen sich lohnt. Sie gehen lieber in die Talkshows, wo sie einen Gedanken höchstens drei bis vier Minuten am Stück entwickeln können.“
Helmut Schmidt taucht seit seinem Diktum, dass er den Wunsch nach kurzen Statements nicht mehr bedient, weder in den „heute“-Nachrichten noch in der „Tagesschau“ auf. Sein mediales „Schwimmbecken“ sind die längeren Gesprächssendungen im deutsch- oder englischsprachigen Raum. Sie ziehen, wie eingangs berichtet, jedes Mal große Zuschauermengen an.
Als junger Politiker wusste er das Medium Fernsehen früher als andere für sich zu
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