Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
Millionenspenden, die seine Frau und er gestiftet haben – diese in die Gesellschaft entsandten Signale, Rufe wider den Zeitgeist, werfen ein Licht auf das persönliche Handeln von „Altkanzler“ Helmut Schmidt. Als aktiver Politiker hatte er noch häufiger Gelegenheit, den Stachel gegen den Zeitgeist zu löcken, und er tat es auch.
Lange bevor die Gruppe Scorpions den „Wind of Change“ besang, wehte schon in der alten Bundesrepublik ein Wind der Veränderung. Er ging 1967/1968 von Studentinnen und Studenten in mehreren großen Städten aus, darunter auch dem damaligen Westteil Berlins. Die Kritik der Studentenbewegung war in vieler Hinsicht berechtigt, wenn sie auch mit ihrem theoretischen Geschwafel deutlich überzog und – selbstverständlich ungewollt – zur Keimzelle des deutschen Terrorismus wurde. In einem Staat, der bald zwei Jahrzehnte von Unions-Kanzlern geführt wurde, zeigten sich Verkrustungen auf allen Feldern der Gesellschaft. Die Gesetzgebung hinkte der gewandelten Moral hinterher, die Kluft zwischen den Generationen vertiefte sich. Das Aufbegehren begann mit der Popkultur, fand seine Fortsetzung in der sexuellen Revolution und mündete in die Umweltbewegung der siebziger Jahre.
Helmut Schmidt profilierte sich als Politiker wider diesen neuen Geist. Seine Generation war „durch die Scheiße des Krieges“ gegangen, hatte Jugend und Berufsträume für ein verbrecherisches Regime opfern müssen und später das Land unter großenEntbehrungen wieder aufgebaut. Plötzlich kamen diese jungen Flegel und stellten das politisch und wirtschaftlich Erreichte infrage! Wo blieb die Dankbarkeit? Ja schlimmer noch, sie flirteten mit sozialistischem und kommunistischem Gedankengut, wo doch die Gefährdung der jungen Demokratie vom Osten ausging! Helmut Schmidt hörte den Studentinnen und Studenten zwar zu und einige von ihnen auch ihm – im Deutschen Bundestag hat er in dieser Zeit mehrfach über die Motive der Studentenbewegung gesprochen. Doch die Lebenserfahrungen und Befindlichkeiten (ein Wort dieser Zeit, das Helmut Schmidt nie verwenden würde) waren letztlich zu verschieden. Es blieb bei einer gegenseitigen Fremdheit, ein Leben lang.
Als die 68er-Bewegung ihre beste Zeit hatte, paukten die damaligen Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU und SPD, Rainer Barzel und Helmut Schmidt, die Notstandsgesetze durch. An der geplanten und von der Großen Koalition schließlich beschlossenen Notstandsgesetzgebung hatte sich der Studentenprotest heftig befeuert.
Wenige Jahre später, die Westdeutschen genossen ihren Wohlstand und das Leben, rebellierte Helmut Schmidt erneut gegen die Zeit. Von den Brandreden, die Helmut Schmidt anlässlich der Übernahme des Kanzleramtes im Mai 1974 hielt, wurde bereits berichtet. In der Sache hatte er mit seiner Mahnung, den Gürtel wieder enger zu schnallen, recht – die Lohnerhöhungen in der Bundesrepublik Deutschland waren zu hoch ausgefallen, die Arbeitslosenzahl rapide gestiegen (freilich auf einem, aus heutiger Sicht, sehr niedrigen Niveau). Doch den Westdeutschen stand der Sinn nicht nach Sparen. Die Löhne stiegen kräftig weiter, während die Wochenarbeitszeit immer kürzer wurde. Die Renten stiegen auch, und es gab reichlich „Bafög“ für Studentinnen und Studenten. Die siebziger Jahre sind in der Bundesrepublik Deutschland das Jahrzehnt der Gewerkschaften und der Verfechter des Sozialstaatsprinzips – der Staat als fürsorglicher Helfer in so ziemlich allen Lebenslagen.
Jahrzehnte später musste sich der studierte Ökonom und Bundeskanzler jener Zeit, Helmut Schmidt, vorhalten lassen, die Entwicklungdes Sozialstaates nicht rechtzeitig eingedämmt zu haben. Seine Standpauken waren nicht nur damals überhört, sondern im Lauf der Zeit schlicht vergessen worden.
Was ist die Energiequelle des Politikers Helmut Schmidt, der nicht nur Klartext geredet, sondern auch – mit unterschiedlichem Erfolg – klar und entschlossen gehandelt hat? Ihn kennzeichnet ein unerschütterliches Beharren auf Überzeugungen und Entscheidungen, die er einmal selbst als richtig erachtet hat. In seiner politischen Lebensleistung gibt es wenige Beispiele dafür, dass er in einer Sache „eingeknickt“, „umgefallen“ ist (etwa die ausgesetzte und dann doch vollzogene Rentenerhöhung im Jahr 1977). War er von einem Kurs überzeugt, hielt er diesen Kurs – selbst um den Preis des eigenen politischen Untergangs.
In Krisenzeiten erwies sich Schmidts Beharrungsvermögen als Glücksfall
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