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Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt

Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt

Titel: Helmut Schmidt - Der letzte Raucher seinen Bewunderern erklärt
Autoren: Herder
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politisches Urteil über die Weltwirtschaft abzugeben. „Aber friedlich demonstrieren geht natürlich in Ordnung. Schon die Babys dürfen schreien …“
    Gegen den Trend der Zeit, wenigstens in der deutschen Politik und Publizistik, versucht Helmut Schmidt das Bild der Weltmächte China und Russland zu entdämonisieren. China, das er 1975 als deutscher Bundeskanzler besucht hat, gilt sein besonderes Interesse. Seine Meinung weicht von der offiziellen der deutschen Politik ab. So verteidigt er bis heute das an friedlich demonstrierendenStudentinnen und Studenten auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“ begangene Massaker – er versetzt sich in die Lage und Entscheidungsnot der chinesischen Machthaber in jenen Tagen.
    Deutsche Politiker sollen chinesischen Führungspersönlichkeiten nicht immer die Wahrung der Menschenrechte vorhalten, weil sie von den Verhältnissen in China nichts verstehen. Ihr Wunsch, China möge ein demokratisch regiertes Land werden, findet Helmut Schmidt lachhaft. „Ich weiß nicht“, sagt er dem China-Experten Frank Sieren in einem „Zeit“-Gespräch, „woher einem Deutschen die Vorstellung kommt, dass die ganze Welt an einer Regierungsform genesen soll, die in Deutschland noch nicht einmal hundert Jahre auf dem Buckel hat.“
    Hier drücken sich Vorbehalte des „gelernten Demokraten“ Helmut Schmidt gegenüber der Regierungsform „Demokratie“ aus. Natürlich steht die Demokratie bei ihm ganz hoch im Kurs – doch gern zitiert er das berühmte Diktum von Winston Churchill, wonach die Demokratie die schlechteste aller Staatsformen ist, ausgenommen alle anderen. Die Stärken, aber auch die Schwächen der Demokratie sind Helmut Schmidt in gleicher Weise bewusst. In China sei es die jahrtausendealte Tradition und die schiere Zahl von Menschen, die eine Demokratisierung erschwere.
    Helmut Schmidts Interesse gehörte schon immer der Außenpolitik. Früher als andere deutsche Politiker reiste er in die USA und in die damalige Sowjetunion, um persönliche Eindrücke von diesen Ländern und ihren Politikern zu sammeln. Er wollte und will sich bis heute nicht aus zweiter Hand über das Riesenreich im Osten informieren.
    Das Russland des Wladimir Putin steht in Deutschland unter Generalverdacht, eine Oligarchie zu sein, mit einem Machtapparat an der Spitze, der im Innern ähnlich autokratisch wie einst das sowjetische Politbüro agiert. Seine Politik gegenüber den früheren Sowjetrepubliken gilt im Westen als aggressiv. Helmut Schmidt teilt diese Haltung zu Russland nicht. „Seit Gorbatschow 1985 ans Ruder kam“, sagt er in einem „Bild“-Gespräch 2007, „hatdie russische Armee keine Grenze mehr überschritten. Die Russen haben keinen aggressiven Akt begangen. Sie haben sich die Loslösung der Ukraine und Weißrusslands aus dem alten zaristischen Reich gefallen lassen.“ Einmal mehr fällt er sein Urteil in Kenntnis und im persönlichen Miterleben einer langen Geschichte, die, so Schmidts Sicht, schon viel weniger stabile Regime in Moskau und weiter im Osten erlebt habe.
    Klartext wider den Zeitgeist redet und schreibt Helmut Schmidt auch mit Blick auf die Europäische Union, die er zwar für unverzichtbar hält, denn sie binde das größer gewordene Deutschland in der Mitte Europas ein; doch wenn er auf die Erweiterungspolitik der EU zu sprechen kommt, gerät er leicht in Rage. Immer wieder würden neue Staaten aufgenommen, während am alten Unions-Prinzip, einstimmige Entscheidungen zu treffen, festgehalten werde. Auf diese Weise kämen entweder keine oder nur noch schlechte Entscheidungen zustande. Zu viele unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse müssten bedacht werden. Mit ihrer neuen Größe und zugleich ihrer Entscheidungsstruktur beraube sich die Europäische Union ihrer Handlungsfähigkeit.
    Eine weitere Gefahr sieht Helmut Schmidt darin, dass in der EU zusammenkommt, was nicht zusammengehört. Deshalb ist er gegen einen Beitritt der Türkei in die EU, sagt und schreibt es auch. Ein muslimisches Land von 70 Millionen Menschen integrieren? Das Kurdenproblem und andere Konflikte im Mittleren Osten in die Europäische Union hineintragen? Ein Präjudiz für die Aufnahme von Staaten wie Algerien, Marokko oder Israel schaffen? „Das ist Großmannssucht von Leuten, die meinen, dass es auf die schiere Ausdehnung der EU ankäme“, so Schmidt in einem „Spiegel“-Gespräch desselben Jahres.
    Im Gesprächsbuch mit Fritz Stern wird er noch deutlicher: Die Türkei sei zurzeit
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