Helter Skelter - Der Mordrausch des Charles Manson
genommen hatte, als er den anderen gab. Obwohl Manson ihm nie den Grund dafür verraten hatte, vermutete Paul, dass Charlie während des Trips seinen eigenen Geisteszustand unter Kontrolle behalten wollte. LSD wird die Eigenschaft zugesprochen, das Bewusstsein zu verändern, sodass derjenige, der es zu sich nimmt, für den Einfluss Dritter zugänglicher und anfälliger wird. Manson dienten die LSD-Trips laut Paul dazu, um den Anhängern seine Philosophie einzuflößen, ihre Schwächen und Ängste auszunutzen und sie zu Versprechen und Abmachungen zu bewegen.
Als Mansons Stellvertreter hatte Watkins mehr als die meisten anderen Charlies Vertrauen genossen. Ich fragte ihn, ob Manson je Scientology oder die Prozesskirche erwähnt habe. Von der Prozesskirche hatte Watkins noch nie gehört, doch Manson hatte ihm erzählt, dass er sich in seiner Zeit im Gefängnis mit den Lehren von Scientology beschäftigt habe und dass er ein »Thetan«, also »clear« geworden sei. Watkins sagte, dass Charlie und er im Sommer 1968 einmal in eine Scientology-Kirche im Zentrum von Los Angeles gegangen seien und Manson dort die Frau am Empfang gefragt habe: »Was macht man, wenn man ›clear ‹ ist?«
Als sie nicht in der Lage war, ihm irgendetwas zu raten, was er nicht schon getan hatte, machte Manson auf dem Absatz kehrt.
Ein Aspekt von Mansons Philosophie war für mich besonders rätselhaft: seine seltsame Einstellung zur Angst. Er predigte nicht nur, Angst sei etwas Schönes, sondern riet seinen Anhängern auch oft, in ständiger Furcht zu leben. Ich wollte von Paul wissen, wie das gemeint war.
Für Charlie war Angst gleichbedeutend mit Bewusstheit, erklärte Watkins: Je mehr Angst man hat, desto bewusster ist man, desto mehr Liebe hat man. Wenn man so richtig Angst hat, gelangt man zum »Jetzt«. Und wenn man im Jetzt ist, dann ist man vollkommen bewusst.
Manson behauptete, dass Kinder bewusster seien als Erwachsene, da sie von Natur aus ängstlich seien. Doch Tiere hielt er für noch bewusster als Menschen, da sie immer im Jetzt leben. Der Koyote war laut Manson das bewussteste Tier überhaupt, da er vollkommen paranoid sei. Da er sich vor allem fürchte, entgehe ihm nichts.
Charlie »verkaufte« stets und ständig Angst, fuhr Watkins fort. Er wollte, dass die Leute Angst hatten, je mehr, desto besser. Nach der gleichen Logik »sagte Charlie, dass der Tod schön sei, weil die Menschen den Tod fürchten«.
In meinen Gesprächen mit anderen Mitgliedern der Family erfuhr ich, dass Manson sich jeweils die größte Angst eines Menschen herauspickte – aber nicht etwa, damit derjenige sich ihr stellen und sie überwinden konnte, sondern damit er, Manson, sie verstärken konnte. Es war wie ein Zauberknopf, auf den er nach Belieben drücken konnte, um einen Menschen unter seiner Kontrolle zu halten.
»Was auch immer Sie machen«, riet mir Watkins, so wie vor ihm schon Crockett und Poston, »lassen Sie sich gegenüber Charlie nie anmerken, dass Sie Angst vor ihm haben.« Auf der Spahn Ranch war Charlie eines Tages ohne Vorwarnung und ohne irgendeinen Anlass auf Watkins losgegangen und hatte angefangen, ihn zu würgen. Zuerst hatte sich Paul gewehrt, doch dann hatte er nach Luft ringend plötzlich damit aufgehört und nichts mehr gemacht. »Es war wirklich seltsam«, sagte Watkins, »in dem Moment, als ich keine Angst mehr vor ihm hatte, riss er die Hände von meiner Gurgel und sprang zurück, als hätte ihn eine unsichtbare Kraft angegriffen.«
»Dann ist es wie bei einem bellenden Hund«, bemerkte ich. »Wenn man Angst zeigt, greift er an, wenn nicht, tut er es nicht?«
»Genau. Angst törnt Charlie an.«
Paul Watkins war von seinem Wesen her sehr viel unabhängiger als Brooks Poston und viel weniger der Herdentyp. Und dennoch hatte er ziemlich lange bei der Family ausgeharrt. Gab es abgesehen von den Mädchen noch eine Erklärung dafür?
»Ich hielt Charlie für Christus«, sagte er, ohne mit der Wimper zu zucken.
Obwohl sowohl Watkins als auch Poston die Nabelschnur zu Manson zerschnitten hatten, gestanden sie beide, dass sie sich noch nicht gänzlich von ihm befreit hätten, sondern selbst jetzt noch gelegentlich in einen Zustand zurückfielen, in dem sie Mansons Schwingungen spüren konnten.
Paul Watkins lieferte schließlich das fehlende Puzzleteil für Mansons Motiv hinter den Morden. Hätte ich jedoch vorher nicht schon mit Jakobson und Poston gesprochen, wäre es mir vielleicht entgangen, denn alle drei – Gregg,
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