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Hemmersmoor

Hemmersmoor

Titel: Hemmersmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Kiesbye
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nicht von mir ab, bis mein Kopf schließlich durch die Glasscheibe unseres Geschirrschrankes krachte. Meine Mutter schrie auf, aber das schien ihn nur noch mehr anzutreiben. Er zog mich an den Haaren zurück und stieß mich wieder nach vorn. Mein Gesicht riss, als es in die Scherben getrieben wurde, die wie krumme Zähne aus dem Holzrahmen ragten. Ich kreischte, meine Mutter flehte meinen Vater an aufzuhören, doch er schenkte ihr keine Beachtung, und um wie vieles besser sprach seine Hand, was er nicht sagen konnte.

MARTIN
    Die Droste Mühle lag nördlich von Hemmersmoor. Tannen umgaben das schiefe Gebäude, und man sah es erst, wenn man direkt davor stand. Jens Jensen schwor, dass die Mühle zur Walpurgisnacht in Flammen aufgehen würde, ohne niederzubrennen, und dass Teufel und Hexen es dort grausig miteinander trieben. »Martin«, sagte er zu mir, »Martin, solche Schweinereien kannst du dir gar nicht vorstellen.« Dieses und andere Gerüchte lockten uns zur schwarzen Mühle. Es hieß, dass der letzte Müller dreihundert Jahre hier gelebt hatte. Er hatte seine Frau und sechs Kinder verloren, und niemand erinnerte sich, wo sein Grab stand oder ob er überhaupt gestorben war.
    Im Dreißigjährigen Krieg hatten schwedische Soldaten das inzwischen moosbewachsene Mühlrad dazu benutzt, ihre Gefangenen zu foltern, die dabei ihre Nachbarn verrieten und die Lebensmittelverstecke preisgaben. Sie hatten auch die Familie des Müllers gefoltert und ermordet und nur den Müller selbst verschont. Er trug böse Schnitte und einen Spalt in seinem Schädel davon und musste seine Familie allein begraben.
    In einer anderen Fassung der Geschichte verkleideten sich junge Männer des Dorfes als Soldaten und fielen über die Familie her und töteten die Gesellen. Der Müller jedoch erkannte seine Angreifer und schwor, Rache zu nehmen. Halbtot verkaufte er dem Teufel seine Seele und erwarb ungeheure Kräfte, und wann immer ein Junge aus dem Dorf an der Mühle vorbeikam, wurde er durch des Müllers Zaubermacht in die Mühle gelockt und musste dort bis zu seinem Tod arbeiten. Die Gesellen des Müllers waren um Hemmersmoor herum in Gestalt von Kühen und Rehen aufgetaucht. Um sie zu besiegen, das lehrten uns die alten Leute, musste man sie totprügeln. Es gab keine andere Möglichkeit. Und jeder dritte Hieb musste den Boden treffen, sonst würden sie nicht sterben.
    *
    Sommer für Sommer stellten wir Szenen aus dem Krieg nach, und wir banden unsere Gefangenen an das Mühlrad und ließen sie hoch in die Luft und dann hinab in die dunklen Wasser der Droste fahren. Wenn man seinen Atem anzuhalten wusste, war es nicht allzu gefährlich, auf das Rad zu klettern, aber einen Gefangenen zu spielen war trotzdem Strafe genug. Nach vier oder fünf Runden flehten wir unsere Peiniger an, uns loszubinden, und wir zeigten den Schweden nur zu gern, wo wir unseren Schinken, unser Brot und unsere Töchter versteckt hatten.
    Anfangs versuchten wir, keinen Lärm zu machen. Wir wollten den Müller nicht aufstören, sollte sein Geist tatsächlich noch immer die Mühle heimsuchen. Hemmersmoor hatte schon vor Jahrzehnten eine neue Mühle weiter südlich, in der Nähe des Damms, gebaut, doch obwohl niemand im Dorf je einen Kunden in der Nähe der schwarzen Mühle gesehen hatte, hieß es, dass sie noch immer betriebsfähig sei. Bei jedem unserer Besuche fanden wir feingemahlenes Korn am Boden.
    Aber nach einigen langen Sommertagen, an denen sich im Innern des Gebäudes nichts zu rühren schien, wurden wir wagemutiger und lauter. Vielleicht war der alte Geist taub. Vielleicht hatte der Droste Müller endgültig die Gegend verlassen oder war am Ende doch gestorben; er trat nie aus seiner Tür, um es mit uns aufzunehmen.
    Je älter wir wurden, desto wichtiger wurde der letzte Teil unseres Spiels. Sobald die schwedischen Soldaten aus dem Wald traten, nahmen sie den Müller bei der Arbeit gefangen, und nachdem wir ihn gefoltert hatten, folgten wir ihm an den geheimen Ort, wo er die Familie und seine Habseligkeiten versteckt hielt und vergewaltigten die Frauen.
    Es waren Karin und Waltraud Brodersen, die im Wald hinter der Mühle auf uns warteten. Sie waren füllig wie ihre Mutter Heidrun, und sie hatten weiche und goldene Haut. Heike, die älteste der Schwestern, kam sich zu erwachsen vor, um mitzumachen, stattdessen fragten wir Anke Hoffmann. Am Anfang war auch noch Linde Janeke mit dabei gewesen, aber nach ihrem Unfall wollte keiner von uns Jungen mehr etwas von ihr

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