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Hemmersmoor

Hemmersmoor

Titel: Hemmersmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Kiesbye
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Professor«, sagte er.
    »In was?«, fragte ich. Ich kannte mich mit Professoren nicht aus, hatte nie eine Universität gesehen oder betreten und kannte niemanden, der studiert hatte. Aber trotzdem wusste ich, dass diese Wesen Fachgebiete hatten.
    »In was?«, wiederholte er. »Ich bin Professor des Labyrinths, selbstverständlich. Professor der Mathematik, der Religion und der Weltgeschichte.«
    »Wie kannst du denn Professor dieses Irrgartens sein?«, fragte ich.
    »Ich bin auch ein König und hacke viele Köpfe ab. Wenn mich ein Mann oder eine Frau beleidigen, hacke ich ihnen den Kopf ab.« Seine Hand schnitt durch die Luft, als ob er eine Zwiebel kleinhacken wollte.
    Seine Antwort flößte mir Furcht ein. Ich begriff, dass dieser Mann wahnsinnig sein mochte und vielleicht einer Anstalt in Groß Ostensen entflohen war. »Ich glaube, ich muss jetzt gehen«, sagte ich.
    Er verbeugte sich. »Du darfst niemandem etwas sagen.« Er zerhackte die Luft vor meinem Gesicht.
    Doch nur ein paar Minuten später war ich wieder dort, wo ich den Fremden zurückgelassen hatte.
    »Hallo«, sagte er. Er hatte sich ins Gras gesetzt und lehnte sich gegen eine Hecke.
    »Ich muss hier raus«, sagte ich.
    Er zuckte mit den Schultern. Seltsamerweise schien er mich nicht wiederzuerkennen. Er stand nicht auf und würdigte mich keines weiteren Blickes.
    »Kannst du mir helfen?«, fragte ich.
    »Brauchst du ein Pferd?«, fragte er.
    Ich rannte abermals fort, und dieses Mal fand ich den Ausgang des Labyrinths. Mein Atem rasselte, mein Herz hämmerte mir in den Ohren. Sobald ich wieder im Freien war, fühlte ich keine Angst und Panik mehr, nur tiefe Enttäuschung. Die Gefahr war vorüber, der Tag hatte seinen Glanz verloren.
    *
    Ich hätte meinem Vater zu gern von dem seltsamen Abenteuer erzählt, aber ich hielt das Versprechen, das ich dem Fremden gegeben hatte. Er hatte sich harmlos genug verhalten und ich sah keinen Grund, ihn zu verraten. Doch in der Nacht – ich hatte Johanns Angebot, das einzige, das ich erhalten hatte, vor Fricks Krug abgelehnt und bereute es bereits –, als ich allein in meinem Zimmer war, machten sich meine Gedanken auf den Weg zum Gutshaus und ins Labyrinth. Schlief der Fremde unter den Hecken, oder war auch er noch wach? War er hungrig, jagte ihm die feuchte Nacht mit ihren unzähligen Geräuschen Angst ein? Dann schweiften meine Gedanken ab, und zum ersten Mal erinnerte ich mich an die Legenden vom ›wahren Erben‹, und ich fragte mich, ob ich ihm am Morgen begegnet war. Wenn die Legenden wahr sein sollten, was würden die von Kamphoffs zu meiner Entdeckung sagen? Was würde Bruno dazu sagen? Würde er das Gut verlassen müssen? Würde er mich anflehen, alles zu verschweigen? Bevor meine Gedanken sich mit Träumen verwoben, erschien dies mehr als nur möglich. Der Fremde war mein Schlüssel zum Großen Haus.
    Am nächsten Morgen stand ich noch vor meinem Vater auf. Er schmunzelte zufrieden, als er in die Küche trat und ich ihn mit heißem Kaffee begrüßte. »Schmeckt es dir wieder, Linde?« fragte er.
    Bevor wir das Haus verließen, packte ich extra Brot in meine Tasche, zusammen mit einem Glas Marmelade, mehreren Scheiben Schinken und einer Flasche Wasser. Wider besseres Wissen wollte ich den Fremden schnell wiedersehen.
    Nach unserer Ankunft auf dem Gut kam der Aufseher auf uns zu und erklärte meinem Vater, dass er heute zu Teilen des Besitzes keinen Zugang habe, da Inspektoren des Landkreises die Gärten und Felder vermessen würden. Vater nickte, aber nachdem der Aufseher gegangen war, spuckte er aus, und sagte: »Unfug. Was zum Teufel geht hier vor?« Dennoch gab er mir den ganzen Morgen kleine Arbeiten und ließ mich nicht von seiner Seite. Erst als ich mich über einen Schwindelanfall beschwerte, gab mein Vater nach. Schwindelanfälle gehörten für ihn der Welt weiblicher Geheimnisse an, und nachdem er mir eingeschärft hatte, mich dem Aufseher nicht zu zeigen, erlaubte er mir, mich zu entfernen.
    Das Labyrinth zu betreten war verboten. Um nicht die Aufmerksamkeit der von Kamphoffs zu erregen, musste ich in aller Stille nach dem Fremden suchen. Niemand durfte mich rufen hören. Ich lief durch den Irrgarten, auf der Hut vor den sogenannten Inspektoren. Ich hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, ihn zu finden, als ich an ein riesiges Loch kam. Erde lag in Haufen um die Öffnung.
    Am Boden des Loches saß der Professor. Sein Hemd war nicht mehr weiß, seine Hände sahen so schmutzig wie die meines

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