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Hemmersmoor

Hemmersmoor

Titel: Hemmersmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Kiesbye
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spielen.«
    Christian lachte über solche Ideen. »Der ist mausetot. Konnte es nicht vertragen, dich mit Anke rummachen zu sehen. Der ist abgehauen und im Moor versackt. In hundert Jahren werden ihn die Torfstecher ausbuddeln. Der wird ganz jung und frisch aussehen.«
    Ich war von keiner der Geschichten überzeugt und lief alleine die halbe Stunde zur Mühle hinaus. Ich fragte mich nie, was ich eigentlich zu finden hoffte. Und selbst wenn ich es getan hätte, wäre mir keine Antwort eingefallen. Vielleicht wollte ich Bernhard finden und ihn wie eine Schatztruhe nach Hause schleifen. Vielleicht trieben mich die alten Legenden zur Mühle. Denn langsam wurde mir die schwarze Mühle wichtiger, als mit Anke Hoffmann Schlittschuh zu laufen. Ich träumte noch immer von unseren Nachmittagen mit den Mädchen, wünschte mir noch immer, ihnen nah zu sein und unter ihre Röcke zu kriechen, doch sobald ich ihnen im Dorf begegnete, war der Zauber verflogen. Wir sprachen für eine oder zwei Minuten miteinander und gingen dann unserer Wege.
    *
    Nach Weihnachten lief ich durch den Schnee zur Droste Mühle. Wir hatten Schulferien, und Holger war jeden Tag mit einem anderen Mädchen auf dem Eis. Christian, so sagte er, hatte mit der Bäckerstochter angebändelt. Sie hatten keine Zeit mehr für mich.
    Der Wald lag still, und obwohl der Himmel mit Wolken überzogen war, schien es um mich herum so hell und festlich, als ob ich in Fricks Krug auf einem Tanz wäre. Der Schnee hatte dem Wald die Finsternis ausgetrieben. Ich hörte nur meine Schritte und meinen Atem. Es war einsam hier, und ich hatte mir einen Ast abgebrochen und benutzte ihn als Wanderstab und als mögliche Waffe. Doch so oft ich mich auch umblickte, nur Rehe und Vögel hatten ihre Spuren im Schnee hinterlassen.
    Wo sich die Mühle befinden musste, stieg eine dünne Rauchsäule über den Baumwipfeln auf. Ich beschleunigte meine Schritte und umklammerte den Knüppel. Doch bevor ich den Fluss erreicht hatte, sprang eine Katze vor mir auf den Weg. Es war eine gewöhnliche Hauskatze, aber sie war so groß, dass ich zwei Schritte zurückwich. Ihr Fell war schwarz, ihr Schwanz so lebhaft wie eine Schlange, und ihr rundes Gesicht reichte mir bis zum Bauch. Sie neigte den Kopf zur Seite, als ob sie sagen wollte: »Du bist zurückgekommen, Martin. Ich weiß, wer du bist.«
    Ich erinnerte mich an die Märchen von Zauberern, die eine Tiergestalt annahmen, um das Dorf heimzusuchen, aber ich hatte nie zuvor einen gesehen. »Wer bist du?«, fragte ich.
    Die Katze blieb stumm und ging vor mir her auf die Mühle zu. Ihre großen Pfoten sanken in den Schnee ein, doch hatte ich Mühe, mit ihr Schritt zu halten. Als wir an unser Ziel kamen, lag das große Mühlrad im Eis fest. Nur in der Mitte des Flusses war noch eine schmale Schneise offenen Wassers zu sehen, eine Wunde, die nicht heilen wollte. Falls ich an diesem Ort verschwinden sollte, wer würde nach mir suchen?
    Als ich den Blick von dem Rauch, der aus dem Schornstein drang, abwandte, war die Katze verschwunden. Ihre Spuren endeten an der Eingangstür. Christian, Holger und ich hatten oft versucht, sie aufzubrechen, hatten es aber nie vermocht. Doch nun stand die Tür offen. Ich stieß sie mit meinem Knüppel ganz auf.
    Ich trat in eine Küche, mit einem eichenen Tisch, um den acht Holzstühle herumstanden. Die Töpfe, die über der Feuerstelle hingen, waren alt und verbeult und tadellos sauber. Im Ofen brannte ein Feuer. Es ächzte und zischte, und nachdem ich einige Zeit hineingestarrt hatte, fühlte ich den Drang, meinen Mantel auszuziehen. Danach schloss ich die Eingangstür.
    Teller standen gestapelt auf dem Tisch, so als habe sie jemand aus dem Kabinett genommen und sei beim Tischdecken unterbrochen worden. Jemand hatte mit einem Finger in den Staub auf den dunklen Eichtisch geschrieben. »Komm schon«, stand dort, und ich umklammerte den schneefeuchten Ast nur umso fester. »Bernhard?«, fragte ich mit leiser Stimme. »Bernhard?«
    Ich folgte einem engen Korridor. Durch eine offene Tür konnte ich in eine kleine Schlafkammer blicken. Zwei Betten standen hier, frisch gemacht, so schien es mir. Niemand war zu sehen, und langsam ging ich weiter und auf eine hölzerne Treppe zu. Alle paar Sekunden fuhr ich panisch herum, mein Atem ging stoßweise, doch niemand schien mir zu folgen.
    Vorsichtig stieg ich die ächzenden Stufen hinauf, und so sehr ich auch versuchte, leise aufzutreten, der Krach war laut und deutlich zu hören. Es war

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