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Hemmersmoor

Hemmersmoor

Titel: Hemmersmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Kiesbye
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offensichtlich, dass hier jemand im Haus war, und bald würden die Bewohner auf mich zukommen, und mich fragen, was zum Teufel mir einfiel, hier herumzuschleichen. Ich wappnete mich für die Begegnung, aber wen würde ich hier antreffen? Hatten Bettler sich die Mühle zu eigen gemacht? Hatten Christian, Holger und ich in unserer Dummheit nie bemerkt, dass die alte Mühle doch bewohnt war? So fest ich auch davon überzeugt war, dass das Gebäude verlassen gestanden hatte, der Geruch von Kohlsuppe und die sauber aufgeschlagenen Betten zerstörten diese Überzeugung. Ich war mir nicht mehr sicher, was ich wusste, was ich glauben sollte, und für Momente glaubte ich beides – dass die Mühle verlassen und bewohnt war.
    »Bernhard?«, fragte ich, meine Stimme kaum hörbar.
    »Bist du es?«, fragte eine weibliche Stimme hinter mir.
    Ich drehte mich um und erstarrte. Ich hörte einen quietschenden Laut und begriff nur ungefähr, dass ich der Urheber dieses Lautes war. Am Fuß der Treppe stand eine junge Frau in einem weißen Pelzmantel. Ihr Haar war sorgfältig frisiert, und bunte Steine schimmerten in ihrem Haar, und sie trug die kleinsten und zerbrechlichsten Sandalen, die ich je gesehen hatte. Sie sah wie eine Eiskönigin aus, wunderschön und schreckenerregend.
    »Martin?«, fragte die junge Frau. Sie schien erstaunt und enttäuscht. Und während mein Herz mir noch immer im Hals pochte, begriff ich langsam, wer dort unten stand. Es war Anna Frick, Alex’ Schwester. »Wie bist du hier hereingekommen?«
    »Wo ist Bernhard?«, fragte ich dümmlich. Die Angst wich mir aus den Gliedern, aber noch immer klammerte ich mich an dem Ast fest. Zugleich begriff ich, wie jung und lächerlich ich in Annas Augen aussehen musste.
    » Bernhard? Was machst du hier? Du musst schnellstens verschwinden.«
    Ich begriff nichts. »Warum? Ist der Müller hier? Und warum bist du hier?«
    »Der Müller?«, fragte sie ungläubig. Dann besann sie sich und sagte mit schneidernder Stimme: »Das geht dich nichts an. Mach, dass du verschwindest.«
    »Wo ist Bernhard?«, fragte ich noch einmal.
    »Ist der auch hier? Wart ihr zusammen?« Darauf entspannte sich ihr Gesicht, und sie fiel in ein kurzes Schweigen. Dann fragte sie langsam: »Bernhard? Der verschwundene Junge? Suchst du noch immer nach ihm?«
    Mein Gesicht wurde heiß, und ich stammelte: »Ich…ich dachte…«
    »Dass ich ihn versteckt halte?« Sie lachte höhnisch, und meine Erleichterung, ein bekanntes Gesicht vor mir zu sehen, schlug erneut in Furcht um. Vielleicht wusste sie wirklich, wo Bernhard war.
    »Weißt du, wo er ist? Was machst du hier? Wie bist du hierher gekommen? Was für einen Mantel trägst du da?« Langsam stieg ich die Treppenstufen hinunter. »Wessen Katze war das draußen im Schnee?«
    »Katze?«, fragte Anna. »Oh. Ich bin eine Hexe, musst du wissen«, sagte sie und lachte. »Sie sitzt meist auf meiner Schulter.«
    Was als Nächstes passierte, kann ich nur meiner Angst und der langen Suche nach meinem Freund zuschreiben. Anna hatte einen schlechten Scherz gemacht, aber meine Nerven drohten zu reißen, und ich begriff nicht, warum sie in Pelzmantel und Sandalen vor mir stand. »Wie tötet man eine Hexe?«, murmelte ich, und mit ein paar verzweifelten Sätzen stürzte ich die Treppe hinunter und versetzte der bepelzten Gestalt einen Hieb. Ich hatte schlecht gezielt und traf nur ihre Schulter. Anna schrie auf, und vielleicht wusste ich, sobald ich ihren Schrei hörte, was für einen schrecklichen Fehler ich begangen hatte, aber gleichzeitig fürchtete ich ihre laute Stimme, die uns an den Müller verraten würde, und wollte sie zum Verstummen bringen. Und hieb nochmal auf sie ein.
    In dem Moment konnte ich einen Wagen draußen vor der Mühle hören.
    »Oh Gott«, flüsterte Anna. Sie hielt sich den Kopf, lag nun am Boden. »Oh Gott«, flüsterte sie, und ihr Gesicht verfärbte sich dunkelrot.
    Und all meine Ängste überkamen mich erneut. Anna war eine Hexe, Anna war die Schwester meines besten Freundes, und ich hatte sie gerade niedergeschlagen. Und wer war das da draußen? Ich ließ den Knüppel fallen und rannte so schnell ich konnte den Korridor entlang und in die Küche, öffnete die Tür, und wollte gerade in den Schnee hinausrennen, als mir eine große, dunkelgekleidete Gestalt in den Weg trat. Doch ich konnte nicht mehr haltmachen, und zusammen stürzten wir in den Schnee. Ich rappelte mich zuerst auf und stürmte in den Wald hinein. Ich rannte und rannte, eine

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