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Hemmersmoor

Hemmersmoor

Titel: Hemmersmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Kiesbye
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Helden meiner Romane in ferne Länder reisen würde. Es war nur eine Sache des rechten Alters. Und was passierte, als ich erwachsen war? Ich wurde von Kamphoffs Gärtner.«
    Ich kannte diese Stimmung wohl. Vielleicht hatte er von dem metallenen Fläschchen getrunken, das er bei sich trug, oder vielleicht hatte ihm Mutter am Vorabend das Leben schwer gemacht. Ich hätte ihm keine Beachtung schenken sollen. Seine schlechte Laune kam und ging wie ein Unwetter. Was ich als Nächstes tat, war eine große Dummheit, und ich hätte es besser wissen müssen, aber ich brannte darauf, mein Geheimnis mit jemandem teilen, und ich glaubte, dass mein Vater darüber seine Sorgen zumindest einen Abend lang vergessen könnte. Ich zeigte ihm meinen Schatz.
    »Was ist das?«, fragte er.
    »Wir sind reich«, gab ich zur Antwort. »Das Große Haus gehört uns.«
    »Unfug«, sagte er, aber ich konnte sehen, dass er neugierig war. Er fuhr rechts ran, nahm den Schlüssel entgegen und wiegte ihn in seiner Hand.
    »Es gehört uns. Alles gehört uns«, sagte ich. »Denkst du, dass der Schlüssel wirklich zählt? Können wir ihn behalten? Ich habe ihn nicht gestohlen.«
    Mein Vater wandte sich mir zu und sagte kein Wort. Er wirkte sehr verwirrt und aufgebracht.
    »Wer hat dir das gegeben?«, fragte er.
    »Es ist sein letzter Wille. Ich bin seine Erbin.«
    »Wer hat dir das gegeben?«, fragte er noch einmal und hielt mir den Schlüssel vors Gesicht. Dann zog er ihn entzwei – in der einen Hand hielt er nun den Bart, in der anderen einen Korkenzieher. »Wer war es?«, fragte mein Vater, und dieses Mal gab ich ihm Antwort.
    *
    Wir kehrten sofort um, und statt wie sonst zum Schuppen zu fahren, in dem er seine Werkzeuge aufbewahrte, fuhr mein Vater zum Lieferanteneingang des Großen Hauses. Er fluchte laut, schloss die Augen und hieb auf das Lenkrad ein. »Es war verboten«, schrie er. »Verboten. Du hast es selbst gehört. Wenn das rauskommt. Kannst du dir den Tratsch im Dorf vorstellen? Der wahre Erbe. Johanns Bruder.« Endlich stieg er aus und ging langsam auf den Eingang zu. Er schien um mehrere Zentimeter geschrumpft zu sein.
    Was im Innern des Hauses passierte, hat mein Vater mir nie erzählt, aber als er endlich wieder in den Hof hinaustrat, war sein Gesicht bleich und ausdruckslos. Er schaute sich um, als ob er den Lastwagen nicht finden könnte. Er starrte lange in den Himmel, sah sich dann die blühenden Hecken an, die den Hof umstanden, dabei kaute er auf seinen schmutzigen Nägeln. Bruno von Kamphoff hatte ihn gefeuert.
    Als meine Mutter die schlechten Nachrichten erfuhr, wurde sie ganz still und drängte meinen Vater dann aber, ihr alles zu berichten. Wir waren in der Küche, das Abendessen stand auf dem Herd, doch niemand dachte daran, sich an den Tisch zu setzen. Mein Vater beachtete meine Mutter und ihre Fragen zuerst kaum und schüttelte nur stumm den Kopf. Stattdessen schilderte ich ihr, was geschehen war und sah zu, wie sie ihre Schürze aufrollte und wie einen Teig knetete. »Der wahre Erbe«, murmelte sie immer wieder. Als ich geendet hatte, war sie so aufgebracht, dass sie den Kummer meines Vaters ignorierte und auf ihn eindrang. »Erich«, sagte sie. »Erich, die können dich doch nicht rausschmeißen. Denen muss doch dein Schweigen was wert sein. Die können dich nicht so einfach wegwerfen. Hast ihnen doch geholfen, alles geheim zu halten. Bezahlen sollen sie dich.«
    Und auch ich wollte nicht von meinem Vater ablassen. War der Fremde wirklich der wahre Erbe? War er der verlorene Bruder Johann von Kamphoffs? Und wo hatte er all die Jahre gesteckt? Meine Mutter ließ mich plappern und stand einfach hinter mir, vielleicht in der Hoffnung, dass dies doch noch zu unserem Guten sein könnte, dass das vielleicht der Weg in eine bessere Zukunft sein könnte. Sie stand in ihrem einfachen Hauskleid in der Küche und wartete auf eine Antwort meines Vaters, vielleicht noch ungeduldiger als ich. Sie hielt mich nicht zurück.
    Mein Vater hatte mich nie geohrfeigt, und als er es jetzt tat, schien es seine Wut nicht zu beschwichtigen. Vielleicht merkte er, dass er nur mich, seine Tochter, geschlagen hatte. Vielleicht merkte er, dass er die Falsche gepackt hatte, aber es kümmerte ihn nicht mehr. Die Enttäuschungen all der Jahre, die meine Mutter ihm in den Ohren gelegen hatte, entluden sich in jener Nacht. Er packte mich bei den Haaren und wirbelte mich herum, schüttelte mich wie einen Sack Wäsche. »Du, du…«, rief er, und er ließ

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