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Hemmersmoor

Hemmersmoor

Titel: Hemmersmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Kiesbye
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sorgfältig arrangierte Glasbehälter. In der Apotheke roch es sauberer als im ganzen restlichen Dorf, so als ob der Gestank und die Verkommenheit Hemmersmoors ihr nichts anhaben konnten. Wenn man die Tür hinter sich schloss und nicht über den Dorfplatz auf Fricks Krug und die Bäckerei schaute, konnte man sich vorstellen, in Hamburg zu sein oder vielleicht sogar in einem anderen Land.
    Penck trug eine metallgerahmte Brille und stand so aufrecht wie ein großer, neugieriger Vogel. Eine sonderbare Ruhe ging von ihm aus, das flößte einem Respekt ein. Ich hatte in der Apotheke nie jemanden fluchen hören.
    Er sah mich streng an und sagte »Hau ab!«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Er griff sich an den akkurat geschnittenen Bart, folgte den Konturen mit zwei Fingern. »Ich habe dir verboten, jemals wieder in meinen Laden zu kommen.«
    Ich nickte.
    »Also, was willst du?«
    Ich gab ihm keine Antwort. Mein Gesicht war noch heißer als meine Hände. Der Brief war durchweicht.
    »Ich werde den Gendarmen rufen müssen, wenn du nicht gehst«, sagte er höflich.
    »Ich habe nichts gestohlen.« Das schrille Winseln, das aus meinem Mund drang, ließ mich erstarren.
    »Natürlich hast du geklaut. Hör zu, Linde. Was dir zugestoßen ist, tut mir leid, aber du kannst dir nicht einfach nehmen, was du willst. Geh jetzt bitte.«
    Ich schüttelte nochmals den Kopf und trat auf ihn zu. Ich legte den Brief auf den Tresen. Er hob eine Braue, seine Nase schien länger und dünner zu werden, als ob er riechen wollte, was sich wohl in dem violetten Umschlag befände.
    »Was ist das?«, fragte er. »Eine Entschuldigung? Das ist nicht notwendig. Kinder können grausam sein, und ich bin mir sicher, dass du dachtest, dass meine Cremes die Lösung seien.«
    »Jemand schickt Ihnen einen Brief«, krächzte ich. Meine Narben brannten, zerschnitten mein Gesicht. Feuerrote Bahnen, die sich an das Glas erinnerten, durch das mein Gesicht brach, an die Hand, die sich in mein Haar gekrallt hatte und mich vorwärts stieß, zurück riss und wieder nach vorne warf.
    »Wer denn?«, fragte Herr Penck.
    »Das darf ich nicht sagen«, antwortete ich. »Es tut mir leid. Was ich getan hab.« Meine Zunge brannte so heiß wie mein Gesicht, ich konnte sie kaum bewegen. Aber diese Worte mussten heraus, alles hing davon ab.
    Bevor ich die Tür erreichte, rief mich der Apotheker zurück. Er hatte den Brief geöffnet und steckte ihn so hastig in seine Manteltasche, dass er das violette Papier zerknitterte. »Warte«, sagte er noch einmal, und ein Topf mit Creme erschien in seiner Hand. »Auch mir tut es leid. Ich war vielleicht zu hart zu dir.« Er presste die Schminke in meine Hand, wandte sich abrupt ab und verschwand im Hinterzimmer.
    Ich konnte kaum atmen und schloss die Augen, um nicht zu weinen. Im Februar hatte Penck mich erwischt, beim Arm gepackt und war, ohne auf mein Heulen zu achten, schnurstracks zu meinen Eltern gelaufen. Sie hatten einander traurig angesehen, und mein Vater hatte nur stumm genickt. Er hatte Penck die Schminke bezahlt, obwohl ich sie gar nicht mehr in den Händen hielt. Dann hatte er mich auf mein Zimmer geschickt und nie wieder von dem Vorfall gesprochen. Er wusste, dass mich die Jungen noch immer verhöhnten. »Hackepeter«, riefen sie mir nach.
    Ich hielt den kleinen Topf lange Zeit in meiner Hand. Dann rannte ich zur Tür hinaus, rannte bis zur Droste. Ich konnte nicht klar denken, konnte die Schreie in meinem Kopf nicht mehr unterscheiden, konnte dem Zucken in meinem Körper nicht mehr folgen. Doch ich warf den Topf so weit ich konnte und schrie auf, als er im Wasser verschwand. Ich hatte ihn. Ich hatte Friedrich Penck am Kragen. Er würde schon sehen.
    *
    Freitagnacht kletterten wir an den Mauern der alten Kirche empor. Unsere Gesichter waren mit Ruß beschmiert, unsere Körper steckten in grotesken Lumpen. Wir waren zerzauste Aasgeier, die Vorboten des Schwarzen Todes. Wir versteckten uns in dem Gebälk, das vom Seitenschiff übriggeblieben war, und von wo aus wir unsere Opfer erspähen konnten, ohne selbst gesehen zu werden. Schräg gegenüber, so hieß es, hatte einst die große Orgel gestanden, die die schwedischen Truppen säuberlich zerlegt und abtransportiert hatten. Jetzt war nur noch ein kleines Stück Boden intakt, und es war gefährlich, es zu betreten, es sei denn, man wusste, welche Balken noch trugen.
    Die Luft schien voll von nassem Rauch.
    Käthe erschien zuerst, genau wie vorhergesehen. Und wie wir es ihr in unserem

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