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Hemmersmoor

Hemmersmoor

Titel: Hemmersmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Kiesbye
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waren wässrig, und ich fand bald heraus, was passiert war. Käthe hatte den Gendarmen angegriffen und ihn angefleht, die neun toten Kinder einzusperren, die ihr den ganzen Tag hinterherliefen. Sie hatte Herrn Schürholz in die Hand gebissen, und er hatte sie eingesperrt. Es war ein guter Augenblick, um mein Vorhaben auszuführen, denn am Fenster der Apotheke stand Rosemarie Penck und drückte sich daran die Nase platt.
    Die Klingel über der Tür riss sie aus ihren Gedanken, und sie sah mich überrascht an. »Was willst du hier? Du bist eine Diebin. Du bist hier nicht willkommen.«
    Dieses Mal versuchte ich nicht, ein Gespräch anzuknüpfen. Ich händigte ihr den Brief aus.
    »Was soll das?«, fragte sie.
    »Der ist für Ihren Mann«, sagte ich.
    »Wer hat ihn dir gegeben?« Sie schaute sich den violetten Umschlag von beiden Seiten an und blickte dann schnell in die Richtung des Hinterzimmers. Ihre Finger zuckten bereits vor Neugierde.
    »Das darf ich nicht sagen.«

MARTIN
    Heidrun Brodersen war eine reizvolle Frau, fett und sanftmütig, und sie verstand es, den Männern und Jungen in Hemmersmoor die Köpfe zu verdrehen. Wir zerrissen uns stets das Maul über sie, aber wenn sie auf der Straße erschien, mit leichtem Schritt und in eine Parfümwolke gehüllt, standen wir still, als ob eine Gottheit, die wir nicht begreifen konnten, uns berührt hätte. Eine ihrer Vorfahrinnen, so behauptete sie, war als Hexe verbrannt worden, weil sie das Dorf verzaubert und eine verheerende Dürre über Hemmersmoor gebracht habe. Eine Kröte war am Grund des Brunnens gefunden worden, genauso wie die sterbende Frau es prophezeit hatte, und nachdem man sie getötet hatte, strömte das Wasser nach Hemmersmoor zurück.
    Heidrun hatte drei Töchter: Heike, Karin und Waltraud, und wir waren hinter ihnen her, versuchten sie auf dem Nachhauseweg anzufassen oder saßen nachts auf Bäumen neben dem Haus und versuchten, durch die Fenster hineinzuspähen. Wenn wir Glück hatten, zog sich eines der Mädchen im Badezimmer aus, ohne den Vorhang des Fensters zuzuziehen. Wir stellten uns vor, dass sie von unserer Anwesenheit wussten und es genossen, sich uns zu zeigen. Heidrun Brodersen hatte große, tönerne Blumentöpfe auf einer Seite ihres Gartens aufgestellt, und Rosenbüsche kletterten aus ihnen hervor und breiteten sich über die alte Steinmauer aus, die das Grundstück von dem der Hoffmanns trennte. Nachdem wir Blicke auf nackte Schultern und weiße Haut erhascht hatten, brachen wir oft einige der Blüten ab und verstreuten ihre Blätter auf Fensterbänken und den Stufen zur Veranda.
    Noch vor einem Jahr hatten wir mit den Mädchen im Wald hinter der schwarzen Mühle gespielt, aber seither hatten sie sich verwandelt. Wir konnten es sehen und doch nicht fassen. Karin und Waltraud wollten nicht mehr in den Wald geführt werden. Stattdessen warteten sie darauf, nach Groß Ostensen ins Kino oder ins Café eingeladen zu werden. Die Lehrlinge von Brümmers Fabrik fuhren auf ihren Mopeds durchs Dorf, und wir schauten hilflos zu, wie die Mädchen hinter ihnen aufstiegen und die Arme um sie legten. Wir wollten erwachsen scheinen, aber wir hatten keine Motorräder und kein Geld. Stattdessen beteten wir die Brodersen-Töchter des Nachts vor ihren Fenstern an.
    »Karin, meine süße Karin«, flüsterte Holger. Seine Hände steckten in der Hose, sein Ast schwankte. Eines Nachts im Oktober fiel er vom Baum, während eine Hand noch immer seinen Schwanz umklammerte, und er brach sich den Arm und das rechte Bein. Christian und ich sprangen zu Boden und bückten uns über den stöhnenden Holger. Wir konnten nicht entscheiden, ob sein Gesicht von Ekstase oder von Schmerz verzerrt war.
    »Martin, du könntest an ihre Tür klopfen und um Hilfe bitten«, schlug Christian vor.
    »Und was erzähle ich ihnen, warum wir hier sind?«, schalt ich ihn.
    Schließlich hoben wir Holger auf und trugen ihn zum Haus von Doktor Habermann, der uns verwünschte, während er sich den Schaden ansah. »Sie hat mich verhext«, erzählte Holger am nächsten Morgen den anderen in der Schule, aber das hielt ihn nicht davon ab, wieder auf seinen Posten zu klettern, sobald ihm der Doktor die Gipsverbände abgenommen hatte.
    Waltraud war die jüngste Tochter, und Holger und Christian schworen beide, sie zu heiraten. Ich war weder an ihr noch an Karin interessiert. Ich war unsterblich in Heike verliebt, die so füllig wie ihre Mutter war, leichtblaue Augen und schwere Brüste hatte. Sie

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