Hemmersmoor
selbst eingebrockt. Sieh dich um, Matrose. Erzähl Liese Fitschen, dass ihre Veronika genauso hübsch aussieht wie ihre Mutter.«
In jener Nacht ging Olaf nicht schlafen, und Alex leistete ihm Gesellschaft, noch lange nachdem die Gaststube geschlossen hatte. Die beiden Brüder saßen in der Dunkelheit und tranken. Olaf mochte das Schlafzimmer seiner Frau nicht betreten.
Früh am Morgen standen sie am Gartentor und warteten auf Liese und ihre kleine Tochter. Alex hat mir versichert, dass er versuchte, seinen Bruder davon abzuhalten, doch Olaf ließ nicht mit sich reden. Als Liese und Veronika auf die Straße traten und ihre Nachbarn grüßten, bekamen sie keine Antwort. Stattdessen hob Olaf das Mädchen in die Höhe und sah ihr ins Gesicht.
»Was soll das?«, fragte Liese misstrauisch, aber Alex bedeutete ihr, zu schweigen.
»Sie sieht dir überhaupt nicht ähnlich«, sagte Olaf.
»Lass sie in Ruhe«, sagte Liese mit fester Stimme. »Sie gehört mir.«
Veronika fing zu weinen an. Sie hatte Hildes Mund, ihre runden Wangen. Sie hatte sogar dieselben blauen Augen.
»Das kann nicht sein«, sagte Olaf und wandte sich an Alex. Doch sein Bruder nickte stumm. Die Ähnlichkeit war zu groß.
»Du kannst sie mir nicht wegnehmen«, stieß Liese hervor und fing selbst zu weinen an. »Sie gehört mir.«
»Wann ist sie geboren? Ich werde ihr den Hals umdrehen, wenn du mir nicht antwortest.« Olaf hielt das Mädchen an den Zöpfen fest.
»Vor vier Jahren, im März. Vier Jahre. Sie ist mein, mein, ich schwöre es. Ich schwöre es dir, Olaf, sie ist mein.«
»Du lügst«, sagte Olaf, aber er ließ Veronika, deren Gesicht vor Entsetzen starr war, endlich zu Boden. »Sie ist ihre Tochter, Hildes Mädchen. Jan kennt die Wahrheit. Wahrscheinlich weiß es das ganze Dorf, dass du mich angelogen hast.«
Als die zwei Brüder ins Haus zurückkehrten, stand Hilde in der Stube und hinter ihr erschien Bernd Frick. Das Gesicht des alten Mannes schien noch zerfurchter als üblich. »Ich hab den Krawall draußen gehört«, sagte Hilde. »Ich hab mir Sorgen gemacht. Was wolltest du von Liese?«
»Das Mädchen ist deine Tochter«, sagte Olaf. Er konnte die Worte kaum hervorbringen. »Wer ist der Vater?«
»Unfug«, sagte Bernd Frick. »Was für ein Gedanke.«
»Warum leugnest du es? Sie sieht wie Hilde aus. Warum habt ihr sie fortgegeben? Wer ist der Vater? Wer?«
Eine lange Weile sprach niemand. Hilde stand still da und schaute auf ihre bloßen Füße. Schließlich sagte Olafs Vater: »Sie dachte, du seiest tot.«
»Und du hast es vertuscht, hast Liese das Mädchen gegeben.« Olaf trat ein paar Schritte auf seinen Vater zu und begann, mit beiden Fäusten auf ihn einzuprügeln. Der Kopf des alten Mannes flog nach hinten, dann gaben seine Knie nach. Er sackte zu Boden. Alex sprang hinzu und riss seinen Bruder zurück.
Mit einem Schrei warf sich Hilde über Bernd, ihr Haar bedeckte sein Gesicht. Sie hielt ihn in den Armen, wiegte ihn, und streichelte seinen Kopf. »Ja«, sagte sie zu Olaf. »Wir haben gehofft, dass du nie zurückkommst.«
*
Wenn jemand aus Hemmersmoor fragte, was aus Olaf Frick geworden war, zuckten die Leute mit den Schultern. »Der Ruf der See«, vermutete der Bäcker. »All die Jahre in jenen gottlosen Ländern. Das zeichnet einen.«
Der Postbote sagte nichts. Er trug nie wieder eine Postkarte aus Shanghai oder Borneo aus. Die Schulmädchen wandten ihre Aufmerksamkeit erneut Rutger von Kamphoff zu, der in schwarzen Anzügen noch besser aussah. Er war wieder zu haben, und alle Mädchen fragten sich, was sie anstellen sollten, um aufs Gut eingeladen zu werden.
Wenn jemand Jan Hussel fragte, streichelte der abwesend die schwarzen Finger seiner Prothese. »Dumme Sache. Der hätte noch was werden können.« Er schien aufrichtig bekümmert und sagte, er bedaure, Olaf vor dessen Abreise nicht noch einmal gesprochen zu haben.
Alex zuckte als Antwort auf Jans Worte mit den Achseln. Ich hatte ihm schwören müssen, nichts von der Geschichte zu erzählen; er musste das Geschäft seiner Familie und ihren guten Ruf schützen. Er würde nicht immer nur ein Fahrer der von Kamphoffs bleiben. Wann immer ihn die Leute im Dorf auf Olaf ansprachen, schüttelte er nur den Kopf. »Viel zu tot hier für einen wie den.«
ANKE
Durch mein Stipendium, das ich im folgenden Herbst antrat, blieb ich mit dem Großen Haus in Verbindung, und an manchen Tagen erhielt ich eine Einladung zu einer der Soireen auf dem Gut der von Kamphoffs. Meine
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