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Hemmersmoor

Hemmersmoor

Titel: Hemmersmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Kiesbye
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der von Kamphoffs um Arbeit, doch die einzige Position, die ihm sein einstiger Schwiegerbruder anbot, war die eines Aushilfschauffeurs. Mit einer Sondererlaubnis trat er die Stelle im September an. »Ohne meinen Vater hätten die mich nicht einmal als Stalljungen eingestellt«, schimpfte er, als ich ihn eines Tages in seiner neuen Uniform auf dem Dorfplatz traf.
    Ich hatte mir von meinem Ersparten ein Moped gekauft und konnte abends nach Groß Ostensen fahren. Doch meist knatterte ich nur durch unser Dorf und landete auf dem Dorfplatz. Als wir dreizehn gewesen waren, hatten wir geglaubt, dass man mit einem Moped die Mädchen herumbekäme, aber die Mädchen in Groß Ostensen wollten von meinem Moped nichts wissen. Sobald ich abstieg, konnten sie Hemmersmoor an mir riechen. Es war mein Gang, mein Gesicht, meine Aussprache. Ich trug unser Dorf wie ein Joch um den Hals.
    »Verschwende deine Zeit nicht mit den Schönen«, riet mir Alex. Sein Haar war voller Pomade, seine gelackten Schuhe waren so groß wie Torfkähne. »Nur die Hässlichen lassen dich ran«. Das leuchtete mir ein, und nachdem sich noch zwei Mädchen beschwerten, dass ich keine Haare auf der Brust hätte und meine Zähne ganz verquer stünden, ließ ich mich mit Linde Janeke ein. Ich hatte sie als Junge ein paar Mal geküsst, doch nach ihrem Unfall nicht mehr angesehen. Keines der Mädchen im Dorf konnte sie leiden, und niemand sah sie je im Krug tanzen, doch nach Einbruch der Dunkelheit fuhren wir zusammen aufs Moor. Dann waren die Narben in ihrem Gesicht verschwunden, und ihre Haut glänzte milchig, und sie schlang sich um mich und befahl mir, sie zu ohrfeigen oder sie mit meinem Gürtel zu schlagen. Nur wenn ich tat wie sie geheißen hatte, durfte ich meine Hosen aufknöpfen.
    Wenn wir nachts durchs Dorf fuhren, konnten wir Olaf oft allein vor dem Krug stehen oder durchs Dorf laufen sehen. Hilde war nie an seiner Seite, und ich konnte mir nicht vorstellen, was ihn wachhielt. Vielleicht vermisste er die See, sagte ich zu Linde, aber sie lachte mich aus.
    »Was sonst?«, fragte ich.
    »Dummkopf«, sagte sie. »Wenn du es dir nicht denken kannst, werd ich es dir nicht verraten.«
    Als ich eines Nachts etwas abseits des Dorfes auf sie wartete, kam Olaf die Straße entlang. Er trug ein Bündel in der Hand, und als er mich erkannte, trat er auf mich zu. Es war fast Mitternacht, mein Vater drehte auf dem Fahrrad seine Runden, aber hier würde er uns nicht sehen. Olaf fragte, wie es mir gehe, und schaute sich mein Moped an, aber meine Antworten waren einsilbig. Ich hatte Angst, dass Linde sich vor ihm nicht zeigen würde, und ich hatte sie schon zwei Nächte nicht gesehen.
    »Wartest du auf jemanden?«, fragte er endlich und lächelte.
    Ich nickte erleichtert. »Was hast du da?«, fragte ich und wies auf sein Bündel. Ich wollte nicht undankbar scheinen.
    »Oh«, sagte er. »Krimskrams. Kann nichts mehr damit anfangen.« Er öffnete das Paket ein wenig, und ich erkannte den Buddha, den blauen Skarabäus, die Freiheitsstatue.
    »Warum willst du die loswerden?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Hilde kann sie nicht leiden. Und mir sehen sie schon ganz unwirklich aus. Als ob ich sie erfunden hätte. Souvenirs sollen dich doch an etwas erinnern, aber hier sind sie mir ganz fremd. Es gibt keine anderen Länder mehr.« Er schwieg für einen Moment, dann sagte er: »Hier«, und drückte mir das Bündel in die Hand. »Ich wollte sie vergraben, aber vielleicht kannst du sie für mich aufheben.«
    »Klar«, sagte ich, ohne recht zu wissen, was ich mit Olafs Schätzen anfangen würde.
    Olaf grinste schief. »Na, ich werd dich mal allein lassen«, sagte er und ging weiter.
    »Heh«, rief ich ihm hinterher. »Danke.«
    Er drehte sich noch einmal um und winkte mir zu.
    Was später in jener Nacht in Fricks Krug passierte, wurde in unserem Dorf oft angedeutet, aber nie richtig erzählt. Manche spekulierten, dass Olaf auf seinen langen Reisen krank geworden war, und dass er Hilde kein Mann mehr sein konnte. Andere vermuteten, dass Olaf zu viele Frauen in fremden Häfen getroffen hatte, um sich je wieder auf nur eine einlassen zu können. Wieder andere behaupteten, dass Olaf schon immer ein Herumtreiber und Tunichtgut gewesen war, und dass ihn sein Vater aus dem Haus warf, um weiteres Unheil zu verhindern. Niemand gab sich zu viel Mühe, die Wahrheit herauszufinden. Die schien zu hässlich.
    Ich wartete in jener Nacht, bis Linde erschien, und wir fuhren zu einer alten Scheune in

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