Hendlmord: Ein Starnberger-See-Krimi (German Edition)
Leinwände, die zum Trocknen an einem Reifen von seinem alten Daimler-Bus lehnen. Starnberger See mit Roseninsel, dahinter die ganze Bergkette, von der Zugspitze angefangen bis zur Benediktenwand, exakt jeder Baumwipfel und Felsen hingetupft, Fidls Meisterstücke und sein beliebtestes Motiv. Am Dampfersteg, in einem kleinen Kupferdachhäuschen an der Sisi-Schlossmauer, da hat er sein Atelier. Er macht auch Porträtskizzen und bietet seine Gemälde zum Verkauf an. In einem ehemaligen Kiosk, wo es früher Dauerbrezen und Steckerleis gab, verteilt er die Dampfschifffahrtspläne. Außerdem verkauft er gemalte Postkarten vom Sisi-Schloss und dem Starnberger See in Öl auf Leinwand und Hartfaserplatten, in allen Größen für zu Hause.
«Drei Bilder in einer Nacht, Respekt! Warst du heute schon in Possenhofen?»
Er schüttelt den Kopf, greift sich tief in den Pulloverkragen, fingert eine Zigarette aus der Packung, die in der Hemdtasche direkt über dem Herzen steckt, und zündet sie an. «Den See und die Berge male ich auswendig, sogar bei Kerzenschein, wenn wieder der Strom weg ist. Nur den Himmel nicht, den muss ich mir abschauen.» Jetzt fällt es mir auf, auf den Bildern spiegeln sich die Wolken im Wasser, mal leicht rosa, mal graubläulich, mal gar nicht, als sei der See zugefroren.
«Gibt’s gleich Eier mit Speck?» Fidl deutet mit ölfarbverschmierten Fingern auf mein Pullovernest mit den Überlebenden und leckt sich die Lippen.
«Nichts da. Die brauch ich noch. Die Augsburger sind tot. Ich muss wieder bei null anfangen, weil ich Hornochse gestern vergessen hab, den Stall zuzumachen.» Als ich es ausspreche, fang ich an zu zweifeln. Ich sehe mich doch noch abends, kaum dass es dunkel war, eigenhändig den Hühnerschlupf an der Stallseite zuhaken. Komisch. Oder war das am Montag, also vorgestern? Blöd, dass kein Datum im Gedächtnis dabeisteht. Aber wie ich die Menschheit kenne, so was erfinden die auch noch.
Fidl bläst den Rauch in Richtung Wiese. «Echt? Mir ist nichts aufgefallen, sonst wäre ich schon ausgerückt. Na, bei dem Unwetter hat der Dieb es leicht gehabt.»
«Unwetter? Ich hab nichts gehört.» Prompt muss ich gähnen.
«Deinen Schlaf möcht ich haben. Kurz nach Mitternacht hat’s gescheppert, dass ich geglaubt hab, der Russe holt uns doch noch alle.» Fidls Kindheitstrauma: Als Neunjähriger musste er mit seiner Familie aus einem Dorf bei Breslau fliehen.
«Hat es heute Nacht auch geregnet?», frage ich und lenke vom Krieg aufs Wetter über.
«Nicht viel, das war ja das Gruselige. Aber warum lässt du dir das gefallen?»
«Was? Den Regen?»
«Nein, dass dir wer die Hühner klaut. Stell eine Falle auf, und wenn er reintappt, zieh ihm das Fell über die Ohren und mach dir einen Pelzkragen oder einen Schlüsselanhänger draus. Oder sag’s besser gleich deinem Spezi.»
«Der Jäger Wolfi ist nicht mein Spezi.»
«Na, dann lass es die Sophie machen, die muss doch sowieso schießen üben. Meinst du wirklich, dass das beim FBI jetzt das Richtige für sie ist?»
« FFB , Fidl.» Ich weiß nicht, ob er die Abkürzung für Fürstenfeldbruck absichtlich falsch sagt oder wieder mal nur mir gegenüber betonen will, was er von Sophies Wechsel zur Mordkommission hält. Darüber mit seiner Tochter selbst zu sprechen traut er sich nicht, aus Angst, dass sie ihm über den Mund fährt. Mit einem Meter einundfünfzig Kriminalkommissarin? Warum nicht. So ein Mörder fühlt sich unbeobachtet, und schwupp, schnappt Sophie ihn bei den Weichteilen.
«Die Versetzung weg von der Drogenfahndung war allein Sophies Entscheidung, und ich respektier sie», erkläre ich ihm zum wiederholten Mal. Wenn’s sein muss, baue ich meiner Frau auch in die Mordkommission einen passenden Stuhl mit Fußablage hinein, damit ihr die baumelnden Beine nicht einschlafen.
Mir fällt was ein. «Leihst du mir deinen Tombolagewinn?»
«Welchen? Den Tischkicker oder die Trockenhaube?»
«Nein, diese Heizfußmatte, wenn du die noch hast?»
«Klar, die ist sogar noch originalverpackt. Ich schenk sie dir, ich vertrag so Grusch mit meinen Schweißfüßen sowieso nicht.» Fidl steigt in den Bus, zieht unter seiner Schlafcouch ein Paket hervor und steckt es mir in die Armbeuge. «Also dann, ich muss heute früher los.»
«Was? Gerade wolltest du doch noch Eier mit Speck, und jetzt frühstückst du nicht mal?»
«Später. Die Alten warten auf mich.» Er tritt die Zigarette aus, streicht sich eine der letzten Haarsträhnen über die
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