Hendlmord: Ein Starnberger-See-Krimi (German Edition)
einen Apfel und klopfe an Emmas Zimmertür. «Ich muss schnell auf die Gemeinde zum Opa Fidl, magst du mit, Traktor fahren?»
Keine Reaktion. Ich rüttle an der Klinke, versperrt.
«Du bist schuld, dass sie tot sind», tönt es aus dem Zimmer.
Schuld. In meinem Hirn blinkt es auf, als hätte jemand auf ein Feuerzeug gedrückt. «Es tut mir leid, Emma. Ich wollte, ich könnte sie wieder lebendig machen.» Mir ist ja selbst schwer ums Herz, wenn ich dran denke.
«Dann mach’s doch, versuch es. Du kannst doch alles. Los!»
Ein bisschen hat Emma recht. Ohne dass ich jetzt angeben will, es gibt kaum was, was ich nicht wenigstens zu reparieren versuche. Einen schiefhängenden Balkon stützen, einen Riss im Haus kitten, einen kaputten Klositz leimen. Nur wenn was halb aufgefressen ist oder ganz fort, kann ich nichts mehr tun. «Es geht leider nicht mehr, Emma, was tot ist, ist nicht mehr zu retten.»
Den prominentesten Mord bei uns hat es 1886 gegeben, drei Komma fünf Kilometer Luftlinie am anderen Seeufer drüben. Vom Enzianberg gleich hinter unserem Hof sieht man die Votivkapelle, wo sich unser König selbst den Garaus gemacht hat – falls ihm keiner geholfen hat. Von damals kommt der Begriff
vom anderen Ufer sein
, mit dem sie uns als Kinder für dumm verkauft haben. Er war halt nicht so an Frauen interessiert, der Ludwig. Ständig müssen sie dort drüben an der seichten Stelle, an der er ertrunken ist, ein neues Kreuz ins Wasser reinsetzen, weil das alte wieder als Souvenir abgesäbelt worden ist.
Mord, mich schaudert es direkt bei dem Wort. Davon liest man in der Zeitung oder hört’s in den Nachrichten, aber so was passiert nicht in Pöcking, hab ich bisher gedacht. Hier wohnen doch die braven Leute hinter Spitzengardinen oder Lamellensichtschutz. Die alten Bauernhäuser mit ihren zur Straße hin frisch gestrichenen Fassaden tragen noch die alten Hofnamen. Beim Niedermoar, Daunderl oder Topfenweber. Falls es in den letzten Jahren mal einen Pöckinger zerbröselt hat, dann war das eines natürlichen Todes, oder der Mörder kam zumindest von auswärts. Das wird jetzt hier beim Hendlmann nicht anders sein. Bei uns gehen wir uns nicht gegenseitig an die Gurgel, oder doch? Wie ich nach dem Anruf aus der Gemeinde die Dorfstraße hinaufrase, fällt mir das mit den Gerüchen nicht auf. Ich bin hier aufgewachsen, sogar hier geboren, genau wie meine Brüder, auf dem alten Kanapee in unserer Stuben, wo dann auch wiederum unsere Mama ihren letzten Schnaufer getan hat. In der Berufsschule haben sie mich ausgelacht, wenn ich bei Geburtsort und Wohnort zweimal Pöcking reingeschrieben habe, als wüsste ich den Unterschied nicht.
Ich kann eigentlich blind durch Pöcking wandeln und weiß genau, an welcher Einfahrt ich gerade bin. Die drei, vier Großfamilien in unserem Dorf besitzen alle ihren eigenen Mief, der sich nur schwer mit der Neuzeit vermischt. Beim Weck, der alle zwei Jahre sogar unterm Pflaster sauber macht, riecht es anders als in der Dorfschmiede. Bei der Klunker Christl, die das
Geschenkechakra
in der ehemaligen Metzgerei nahe der Dorfmitte betreibt, müffelt es immer noch nach Schlachtabfällen, nur ganz leicht zwar und nur, wenn man eine Nase dafür hat. Obwohl sie den ausgeräumten Laden, als sie ihn übernommen hat, mit einem großen Gong und ein paar Räucherstäbchen neutralisieren wollte. Aber das bekommst du mit keinem Schwengschui oder sonst was weg. In jedem ihrer Duftwasser hängt ein feiner Mettwurst- oder Knöcherlsülzgeschmack. So was kriegst du heute nirgends mehr, außer du kaufst was von der Christl ihrem Charivari und lutschst dran. Mein Eicher Königstiger überdröhnt das Sirren der Bohrer, wie ich beim Schmitter vorbeikomme. Der hat sein Erdgeschoss an einen Zahnarzt vermietet, da weht immer etwas Chemie aus den Fenstern, so ähnlich wie neuerdings beim Seniorentreff am Alten Rathaus. Angeblich experimentieren die Rentner für die nächste Dorffeier mit Rezepten aus diesen ganzen Kochshows vom Fernsehen, hat der Fidl erzählt. Molekularküche. Hoffentlich fliegt so eine Torte samt Backgeschirr nicht mal in die Luft! Aber zum Glück kann man zur Langen Tafel am Sonntag auch sein eigenes Essen mitbringen.
Der Wickerl macht am Mittwoch aus Pöcking normalerweise einen Einheitsgeruchsbrei. Von der Konrad-Krabler-Kurve bis zum Lindenberg riecht es – oder jetzt muss ich besser sagen: roch es –, wie gesagt, nach seinen Hendln. Aber vor lauter Mörwald-Entbindung, Augsburger-Trauer
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