Hendlmord: Ein Starnberger-See-Krimi (German Edition)
Dreißigster Mai, und noch immer schleppen meine Tiere den Wintermantel mit sich herum. Gestern ist die Locke, das Walliser Schwarznasenschaf mit den Korkenzieherhörnern, gegen einen Pfosten gelaufen, weil sie durch ihre dichten Rastalocken nichts mehr sieht. Und um das Elektrische gehört sich gekümmert. Bei uns
dreht
man noch das Licht an. Die alten Leitungen im Haus stammen noch aus der Zeit, als der Strom erfunden wurde. Sie sind mehr wie morsch, ständig haut’s die Sicherung raus. Vor lauter Arbeit versuche ich lieber, an was Schönes zu denken. An meine Glucken, die sind eine Augenweide. Die Glanzgefiederten haben zu brüten begonnen, und wenn alles gut geht, schlüpfen in drei Wochen die ersten Grauschwarzgeflaumten.
«Kannst du auch nicht wieder einschlafen?» Sophie tastet, über Emma hinweg, nach mir. Bei ihr verstehe ich die Aufregung, heute ist ihr erster Tag beim Mord, nach langen Jahren bei den Drogen.
«Versuch, noch ein Stünderl zu schlafen. Ich weck dich, mit einem Kaffee», flüstere ich ihr zu, streichle ihre kleine Hand und rolle aus der Decke. Mein Inneres zwingt mich hinaus und aufs Klo, wo ich vorsorglich das Fenster kippe und dann auf der Schüssel noch etwas weiterdöse. Ich kann mich auch in Ruhe schicken, Blinken hin oder her.
Was ist mit dem Fuggerjakl heute? Schläft der noch? Der kräht doch sonst um die Zeit? Auf einmal reißt es mich. Da draußen, da draußen riecht’s nach Blut. Hastig springe ich in die Stallhose, in der noch die lange Unterhose steckt mit den drei Paar Socken dran, zerre meine Wie-raus-so-rein-Schichten (Kurzarmshirt, Langarmshirt, Strickpulli) über den Kopf, laufe die Treppe runter, dann die drei Stufen nach draußen und fahre in die Gummistiefel, die vor der Haustür schon in Gehrichtung stehen. Da drückt was. Ich ziehe den rechten Stiefel wieder aus, schüttle eine Maus heraus. Die wollte mir der Chiller anscheinend zum Frühstück servieren. Am Schwanz schleudere ich den kleinen Leichnam in Nachbars Garten, einem Zugereisten, der sich schon oft über unsere Hühner beschwert hat, schlüpfe wieder in den Stiefel und wanke los. Reste von Nebelschwaden umwabern mich. Vielleicht hat Emma doch recht gehabt mit ihrem Gewitter, und ich hab nur alles verpennt? Das Gras quietscht unter meinen Schritten. Auf der großen Wiese turnt eine Gestalt. Soweit ich den Schattenriss deuten kann, ist das der Fidl, mein Schwiegervater. Er versucht, die Sonne mit seinen morgendlichen Verrenkungen aus der Wolkenwand zu locken. An den Büschen entlang hangle ich mich über den Trampelpfad zum Schneiderberg vor bis zum fahrbaren Hühnerstall, einem einachsigen Bauwagen. Das sieht nicht gut aus, gar nicht gut, direkt schlecht sogar, oje! Der Schreck fährt mir in die Glieder. Die kleine Seitenklappe, der Ausstieg für die Hühner in der Bauwagentür, steht sperrangelweit offen. Ich luge hinein. Das war’s dann wohl mit den Augsburgern. Hab ich gestern Abend tatsächlich vergessen, den Stall zuzumachen? Wo hab ich nur mein Hirn abgestellt? Aus ist’s mit dem Fuggerjakl, dem schwarzen Gockel mit dem herrlichen Becherkamm. Die vielen Federn verraten, dass er noch versucht hat, seine Hennen zu verteidigen. Aber sein Heldentum hat ihn das Leben gekostet. Nur seine Haxen liegen noch im Stall, die Krallen verkrampft. Zum Heulen wäre es, wenn so ein bisschen Salzwasser was nützen täte. Die Hühnerstangen sind aus den Haltern gehoben, die Eier zerschlagen. Ein Ei liegt in der Ecke, halb verdeckt unterm Heu. Ein zweites scheint auch noch unbeschädigt zwischen zerlaufenen Dottern in einem herausgeworfenen Nest. Und auf ein drittes trete ich fast drauf. Es befindet sich unter einem Hühnerstallrad im Gras. Ich schaue zum Waldrand. Irgendwo dort hockt der Übeltäter und stopft sich mit meinen Lieblingen voll.
Wie rohe Eier trage ich die rohen Eier in meinen Pulli gehüllt zurück zum Haus.
Von seinen Morgenübungen erholt, passt mich mein Schwiegervater ab, mit dem Neunundzwanzigsten, dem abgerissenen Kalenderblatt in der Hand. «Horch. Kehrt ein Ge…, nein, also geht ein Gerippe in eine Bar…» Jeden Tag das Gleiche. Haspelnd, sich mehrmals verlesend, trägt Fidl den neuesten Witz von der Kalenderblattrückseite vor, auf nüchternen Magen noch, über hundertfünfzig Witze heuer schon, die Jahreshalbzeit naht. «… und sagt: Einen Obstler und einen Wischlappen, bitte.»
Ich kann mich aber gerade nicht zum Lachen zwingen und werfe stattdessen einen Blick auf die drei
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