Hendrikje, Voruebergehend Erschossen
angefangen
›Väter und Söhne‹
neu zu übersetzen, wieder ohne Auftrag, einfach so, und da wäre es für ihn ein Leichtes gewesen, sagte er, mal schnell nach Hamburg zu kommen, wenn er gewusst hätte, wie schlecht es mir ging. Na ja, irgendwie hatte ich daran gar nicht gedacht. Jedenfalls entschuldigte er sich, gleich wieder loszumüssen, denn er hatte einen Termin bei einem Verlag, der sich plötzlich nun doch für seine Neuübersetzung von
›Krieg und Frieden‹
interessierte, aber er versprach, am Abend wieder zu kommen. Das tat er auch, und er hatte die anderen alle zusammengetrommelt, also Lisa und Ernst, aber der musste natürlich Sophie mitbringen. Ich war sowieso gerade am Kochen, und also hab ich alle reingelassen und dachte noch, das ist jetzt aber schon nett von Ernst, dass er zu meinem Geburtstag kommt, dann stimmt das also, als er gesagt hat, er wär mein Kumpel, und dass er Sophie mitbringt, na ja, das würde er früher oder später eh tun, also dann, warum nicht früher. Und Lisa war auch mitgekommen, vielleicht hatte ihr ja Dieter erzählt, dass nichts gelaufen war zwischen uns. Jedenfalls hatte Holger allen bereits erzählt, was passiert war. Trotzdem fragte mich Sophie ganz erschrocken, wer mich denn so zugerichtet hätte, mein schwarzblaues Auge und so. Und ich hab gesagt: ›Na, ich hab doch versucht, mich umzubringen.‹ Lisa legte ihr Pelzcape ab und seufzte: ›In deiner Situation ist das gar keine schlechte Idee.‹ Und sie wirkte überhaupt sehr erschöpft. Aber Sophie, zart besaitet wie immer, machte einen auf entsetzt und fragte mit aller erdenklichen Erschütterung in der Stimme: ›Wieso
das
denn?‹ Und ich sagte: ›Na, das hat euch doch Holger schon erzählt, weil halt alles schief geht!‹ Und Ernst pflichtete mir bei und sagte zu Sophie: ›Wie du siehst, hat nicht mal das geklappt!‹ Und da nickte Sophie sehr einsichtig.
Warum es nicht geklappt hätte, wollte Ernst jetzt wissen, und ich hab gesagt: ›Na, weil der Stek, den ich gebaut hatte und der sich durch Zugkraft zuziehen sollte, sich durch Zugkraft gelöst hat.‹ Ernst nickte nur, und ausgerechnet Sophie fing nun an, mir gute Ratschläge zu geben. Sie sagte, ich soll mein Schicksal nicht verdammen, sondern als
Chance
begreifen, und ich dachte: Jetzt knallt sie durch. Und ich sollte mein Karma nicht mit schlechten Gedanken beflecken, sondern mir eine gute Fee vorstellen, die mir drei Wünsche freistellt, und dann soll ich die Wünsche klar und deutlich formulieren. Ich dachte, Sophie hat keine Ahnung, aber bitte, drei Wünsche kann sie haben.
›Heilige Scheiße, Sophie‹, hab ich zu ihr gesagt, ›ich will einfach nur genug Zeit haben, meine Bilder zu malen, irgendwo, wo die Miete bezahlt ist und wo
mir
mal jemand das Essen serviert und wo ein Freund auf mich wartet.‹ Lisa schüttelte abschätzig den Kopf und sagte: ›Du hast aber auch hohe Ansprüche.‹ Da hat tatsächlich Ernst eingegriffen und gesagt: ›Jetzt komm, Lisa, sie hat’s echt nicht leicht. Oma tot, Bilder verbrannt, Offenbarungseid, Freund weg – sorry – Fahrrad geklaut und so … das würde mich auch irritieren.‹
Freund weg!
Er sagte tatsächlich:
Freund weg,
nicht etwa: ›Geliebter weg‹ oder ›Nicht-Freund weg‹! Und dann sagte er, dass er sich das mit dem Stek überhaupt nicht vorstellen kann, dass der sich durch Zugkraft gelöst haben soll, was das denn für’n Stek gewesen wär. Und dann verlangte er einen Bindfaden, weil er das mal ausprobieren wollte, und ich holte aus Omas Küchenschublade einen ihrer aufgehobenen Bindfäden, und Ernst saß da und krokelte und friemelte an dem Bindfaden herum, bis er so was wie einen Stek gebaut hatte. Und als er ihn ausprobierte, löste sich auch der. Ernst schmiss den Bindfaden auf den Tisch, und ich rauchte und schaute mir den Faden an und sagte: ›Wenn die Indianer fertig sind mit ihrem Leben, dann gehen sie ins Gebirge, machen so ’ne Art Sterbemeditation und nach drei Tagen sind sie tot.‹
Lisa verzog ungläubig das Gesicht und sagte angewidert: ›Da würd ich mir aber lieber gleich die Pulsadern aufschneiden!‹, und Ernst erwiderte ihr ganz besorgt: ›Aber du weißt, dass man das in der Badewanne machen muss!‹
›Ja, aber ich würd’ mich niemals umbringen …‹, meinte Holger, und Ernst sagte: ›Ich würd’ mir ’nen goldenen Schuss setzen, ein Abgang in Würde ist besser als ein würdeloses Leben.‹ Sophie schaute ihn daraufhin ganz besorgt an, aber Ernst küsste sie zur
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