Hendrikje, Voruebergehend Erschossen
wäre … Was hatte er da gesagt?«
»Er hatte gesagt, dass er auf so konservatives Zeug wie Weihnachten bei der Omi keinen Bock hätte und als Nächstes würde ich ihn wohl heiraten und Kinder von ihm haben wollen.«
»Ja, richtig. Und das hat Sie nicht geärgert, dass Sophie jetzt von ihm und offenbar ohne Widerrede ein Kind bekam? Und Sie bieten ihm sogar noch Ihre Wohnung an? Damit er da friedlich seine Kinder großzieht, die er mit Ihnen nicht gewollt hätte?«
Hendrikje stutzt und glotzt die Palmenberg verständnislos an. Die Palmenberg hakt nach: »Bitte beantworten Sie diese Frage!«
»Ich …« Hendrikjes Kopf ist ganz leer. »Sie wissen doch, wie das in Hamburg mit Wohnungen ist. Man kriegt ja keine, und wenn doch, dann kann man sie nicht bezahlen. Also ich kenne Leute, die sind aus Hamburg nur deswegen weggezogen, weil sie sich die Wohnung nicht mehr leisten konnten. Das ist hier wie in München. Und meine Wohnung hatte 5 Zimmer und zwei Balkone, und weil die Omi da über 40 Jahre gewohnt hatte, war die Miete sehr billig, also die Wohnung war wohl auch runtergewohnt, aber wenn die schön renoviert würde, dann könnte man da sehr billig wohnen, wenn man dem Vermieter nicht gerade aufs Auge drückt, dass man ein neuer Mieter ist, aber so was lässt sich ja tricksen.«
»Das beantwortet meine Frage nicht«, sagt die Palmenberg. »Ich wollte wissen, warum Sie ausgerechnet Ernst Ihre Wohnung überlassen wollten.«
»Na, damit er mir hilft«, sagt Hendrikje. »Es war mir ernst mit dem Sterben. Ich hatte nichts, also ich meine: wirklich gar nichts, worauf ich mich hätte freuen können, aber dafür so viel Scheiße aufzuräumen, dass ich dachte, ein Menschenleben reicht dafür sowieso nicht aus. Es war nicht mehr zu schaffen, außer vielleicht, wenn ich 150 Jahre alt werde. Und selbst dann hätte ich immer noch keinen Freund gehabt, und das wünschte ich mir sehr, einen Freund. Aber wer würde wohl mein Freund sein wollen, wo ich doch so viel Scheiße an der Backe hatte? Nur Probleme. Und nicht zu vergessen, dass ich immer nach Terpentin rieche, wer soll das mögen?«
Die Palmenberg reibt sich die Stirn und guckt auf ihren Block. »Also, dann haben Sie die Wohnung als eine Art Tauschmittel einsetzen wollen?«
»Ja, das kann man so sagen. Ein Tauschmittel für das Ticket, das Ernst mir besorgen konnte, wenn er nur wollte. Und er wollte plötzlich. Er fand das einen sehr vernünftigen Vorschlag. Er sagte, die Wohnung wäre schon richtig klasse, aber das Risiko … Da machte ich einen Witz, um ihm auf die Sprünge zu helfen, und sagte, wenn er die Wohnung haben will, dann
muss
er mir geradezu helfen, sonst wird sie ja nicht frei. Da lachte er und Lisa lachte auch und Sophie lächelte unter Tränen, nur Holger sagte: ›Ja, aber das geht jetzt doch entschieden zu weit.‹«
»War das alles, was Holger dazu gesagt hat?«, will die Palmenberg wissen.
»Ja, das war alles, was hätte er sonst noch sagen sollen?«
»Er hätte unter Protest den Raum verlassen können.«
»Nein, er blieb bei uns.«
»Er hat nicht gesagt: ›Komm, Hendrikje, wir hauen hier ab, ich bringe dich in die Lüneburger Heide zu meinen Eltern, bis du wieder bei klarem Verstand bist?‹«
»Nein, natürlich nicht. Das wäre doch auch ein bisschen zu viel verlangt gewesen, jetzt auch noch Holgers Eltern auf den Wecker zu fallen. Und es hätte doch auch an der Situation nichts geändert.«
Die Palmenberg seufzt. »Gut. Weiter.«
»Ernst war einverstanden. Er sagte: ›Dann schulden wir jetzt Hendrikje ein schönes, schönes Abschiedsfest.‹ Und als Lisa ihn dafür schräg anguckte, sagte er zu ihr, um sie zu beruhigen: ›Selbstverständlich mit einem juristisch einwandfreien Abschiedsbrief, und wenn du, Lisa, uns dein Haus in Schleswig-Holstein zur Verfügung stellst, wär’s nobel von dir.‹
Lisa schnaufte verächtlich, warf sich in ihrem Stuhl zurück, schüttelte den Kopf und sah mich an: ›Also ich finde das unglaublich, so was von mir zu verlangen!‹
Und Ernst sprang sogar für mich in die Bresche und sagte: ›Lisa, niemand hat etwas von dir
verlangt
, Hendrikje hat uns nur in einer schwierigen Angelegenheit um Hilfe gebeten. Sie ist schließlich unsere Freundin.‹
›Ja, aber sie hat nicht einmal eine unheilbare Krankheit …!‹, sagte Holger.
›Aber sie ist alt genug‹, sagte Ernst.
›Ja, aber es ist sowieso Blödsinn, was ihr da erzählt, und auch nicht zu Ende gedacht!‹, sagte Holger. ›Was machen wir denn,
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