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Hendrikje, Voruebergehend Erschossen

Hendrikje, Voruebergehend Erschossen

Titel: Hendrikje, Voruebergehend Erschossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Purschke
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jetzt erst noch abwarten, da kommt einer nach Hause und nicht, dass ich auf mich aufmerksam mache. Ich hörte schnelle Schritte im Treppenhaus, die Person kam nach oben, also nicht bis zum Dachboden, aber doch bis in den dritten Stock, in mein Stockwerk.
    Einen kurzen Augenblick überlegte ich, ob das vielleicht Ernst sein könnte, der alles bereut und zu mir zurückkommt, ich lauschte und hörte dann aber nur ein dumpfes, kleines, plumpes Plumpsen und wie die Person wieder weglief, und da fiel es mir ein! Das war die Zeitung! Mein Abo! Die Zeitung kommt immer nachts gegen zwei Uhr, das war die Zeitung mit einer druckfrischen Kolumne von Sugar Brown! Die wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen! Ich dachte, das kann ich ja eben schnell noch machen, die Kolumne lesen, und ohne zu überlegen hab ich irgendeine hastige Bewegung gemacht. Ich hatte wohl im Augenblick vergessen, dass ich die Schlinge schon um den Hals hatte, jedenfalls verlagerte sich mein Gewicht auf dem Bügelbrett irgendwie ungünstig, das Bügelbrett krachte zusammen, und ich fiel hin, ich fiel auf den Fußboden, trotz der Schlinge. Es machte einen Mordslärm, es schepperte und krachte, und ich bin mit dem Gesicht nach vorne gefallen, mit der Schläfe an einen der Füße des Bügelbretts und überhaupt tat das alles sehr weh.
Seltsamerweise hat man während eines solchen Falls wahnsinnig viel Zeit, sich Gedanken zu machen. Als ich fiel, dachte ich natürlich, dass mich der Sturz unbedingt und mit tausendprozentiger Sicherheit umbringen müsste, wegen der Schlinge um meinen Hals. Und da dachte ich: Scheiße, unten auf meiner Matte liegt Sugar Browns Kolumne, und ich sterbe hier oben. Scheiße Scheiße Scheiße. Und als ich dann am Boden lag und mir alles wehtat und ich mich langsam berappelte, da hab ich mir dann erst mal den Stek angeschaut, aber der hatte sich nicht durch Zugkraft gefestigt, sondern sich durch Zugkraft gelöst.«
    »Aha.«
    »Ja, aha. Scheißbiest.«
    »Und?«, fragt die Palmenberg gedehnt, »war denn Sugar Browns Kolumne wenigstens eine Bereicherung in Ihrem übrig gebliebenen Leben?«
»Verarschung. Es war Verarschung.«
    »?«
    »Er schrieb, es wäre ihm heute nichts eingefallen, und druckte ein Rezept für Hühnersuppe ab.«
    »Ein Rezept für Hühnersuppe?«
    »Hmhmm«, konstatiert Hendrikje beleidigt, »und dass man zwar Karotten reintun soll, aber die Karotten bloß nicht klein schneiden, das würde die Suppe trübe machen.« »
    Die Suppe trüben …«, nickt die Palmenberg versonnen.
    »Ja. Verarsche eben.«
    »Ich weiß nicht, was daran Verarsche sein soll. Einem Kolumnisten fällt einen Tag nichts ein, und er beglückt die Menschheit mit Hühnersuppe. Zu den Ereignissen in meinem Leben, bei denen ich mich am wenigsten verarscht gefühlt habe, gehört definitiv der Genuss von Hühnersuppe.« »Da sind Sie aber leicht zu beglücken«, sagt Hendrikje, sauer, dass die Palmenberg so wenig Anteil nimmt an der Schilderung ihres Selbstmords, steht auf und geht ohne ein weiteres Wort hinaus. Und Frau Doktor Palmenberg schaut erlöst auf das kleine Armbandührchen, das sich antik und golden um ihr schmales Handgelenk schmiegt.

6
»Am nächsten Tag hatte ich Geburtstag, ich wurde 34, Quersumme 7, und ich dachte noch: Das kann ja heiter werden.«
    »Das war der Tag nach Ihrem Sturz vom Bügelbrett?«, fragt die Palmenberg in der nächsten Sitzung.
    »Das war der Tag nach meinem Selbstmordversuch, genau. Ich hatte ein schwarzblaues Auge von dem Sturz auf den Fuß des Bügelbretts, und ein paar Schrammen im Gesicht, also, ich sah ganz schön verprügelt aus. Als ich ins Café kam und Goebbels mich so sah, hat sie mich gleich wieder heimgeschickt: So könnte sie mich nicht auf die Gäste loslassen. Und als ich gerade das Café verlassen wollte, da kam Holger mir entgegen, der wollte mich besuchen, weil er wusste, dass es mein Geburtstag war. Er hat sich erschrocken, weil ich halt so aussah, wie ich aussah, und ging mit mir in ein anderes Café, und da hab ich ihm alles erzählt, was so passiert war, und dass ich in der Nacht versucht hatte, mich umzubringen. Holger jedenfalls war ziemlich mitgenommen, als er das hörte, und sagte: ›Ja, aber das ist ja fürchterlich!‹ Und ich nickte und sagte: ›Ja, Holger, das ist es.‹ Dann fragte Holger mich: ›Ja, aber warum hast du mich denn nicht angerufen?‹ Er war über Weihnachten und Silvester zu Hause bei seinen Eltern in der Lüneburger Heide gewesen und hatte

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