Hendrikje, Voruebergehend Erschossen
überhaupt nicht froh, dass
mir
nix passiert ist!‹«
»Paula hat also alles gleich zugegeben?«
»Ja. Und sie hat dann sogar auch noch gesagt, sie wolle das wieder gutmachen. Das war natürlich rührend, wie sollte sie denn? Ich hab mich hingesetzt zu ihr, und sie hat mir ihren Tabakbeutel hingeschoben, und als ich sagte, ich kann keine Zigaretten drehen, ich rauch immer fertige, da drehte sie mir eine und bröselte auch noch bisschen Shit rein und sagte, das wär guter Shit, den hätte es gerade im Sonderangebot im Sternipark gegeben.
Ich sagte: »Paula, ich mag keinen Shit, mir wird schlecht davon.«
Und sie sagte: »Den wirst du mögen, das ist erstklassiges Zeug.« Sie steckte die Shit-Zigarette an und hielt sie mir hin.
Ich versuchte zu rauchen, und zuerst biss der Rauch in meinen Lungen und machte mich schwindelig, es war meine erste Fluppe nach der Lungenentzündung, aber allmählich gewöhnte ich mich dran und der Geschmack gefiel mir, und so wanderte die Zigarette zwischen mir und Paula hin und her, also, wir rauchten die Friedenspfeife.
›Ich hab kein Zuhause mehr‹, erzählte ich Paula und fragte sie, ob ich auch hier schlafen könnte. Na klar, könnte ich, sagte sie und überließ mir sogar ihren Schlafsack. Ich hab ihn ohne rot zu werden angenommen. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, waren Paula und Paula fort, aber alle Sachen waren noch da, der Rucksack und der Napf.
Und dann kamen sie zurück, und Paula überraschte mich mit so etwas Ähnlichem wie einem Frühstück, das sie zusammengeklaut hatte. Es gab Ölsardinen aus der Büchse und Apfelsaft dazu. Und dann sagte sie, sie hätte eine ganz tolle Idee, dazu würde sie den Rucksack brauchen. Sie entleerte ihn vollständig auf den Fußboden, ein paar Anziehsachen fielen heraus, und sie zischte gleich wieder ab mit dem leeren Rucksack und bat mich, unbedingt hier auf sie zu warten, sie hätte eine so schöne Überraschung für mich.
Komischerweise glaubte ich ihr und ließ sie ziehen. Ich sollte in der Zwischenzeit aufpassen, dass keiner ihre Sachen klaut. Das hab ich gemacht, und als Paula wiederkam … also, so was Süßes hab ich selten erlebt. Sie hatte tatsächlich einen Farbenladen geplündert, wie weiß ich nicht, denn sie schleppte tatsächlich eine Grundausstattung für Maler an. Sie hatte drei verschiedene Pinsel geklaut, alle Grundfarben, Acrylfarben in Tuben und eine Rolle Leinwand, eine relativ schmale Leinwand.
Damit ich wieder neue Bilder malen könnte, sagte sie. Treuherzig wie ein Kind, und ab hier wusste ich, dass ich ihr nie wieder böse sein könnte. Ich musste echt ein bisschen heulen, und ich habe zu Paula gesagt: ›Das ist das schönste Geschenk, was du mir machen konntest.‹ Und sie strahlte mich an wie ein Honigkuchenpferd.
Jetzt, was macht man mit einer schmalen Leinwand? Die nicht aufgezogen war. Ich brauchte was zum Pinselreinigen und was zum Aufziehen, und als Paula hörte, was mir fehlte, war sie gleich weg und kam mit Nägeln wieder. Wir haben die Leinwand an die Wand gespannt. Und zum Pinselreinigen hatte sie Feuerzeugbenzin geklaut.
Und wieder die Frage: Was macht man mit einer schmalen Leinwand? Sie war vielleicht sechzig Zentimeter breit, das ist kein Format, auf dem ich je gemalt hatte, aber sie war so lang wie ich wollte. Dann wusste ich es: Ich habe einen kräftigen Männerarm von der Schulter an bis runter zu den Fingerspitzen skizziert und oben auf den Bizeps ein schönes, tätowiertes Segelschiff gemalt, einmal, wie es schlaff segelt, wenn der Arm locker runterhängt, und einmal, gleich daneben auf einem zweiten Stück Leinwand, mit vollen Segeln, wenn der Bizeps gespannt ist.
Das hat Spaß gemacht und war eine knifflige Studie. Ich fand mich gut, ich fand besonders gut, wie ich die Tintenfarbe der Tätowierung hingekriegt hatte und wie die Haut an den tätowierten Stellen anders aussieht, nämlich gleichzeitig flächiger und poröser. Und dann fielen mir die vielen kleinen Details des Segelschiffs wieder ein, wo die Luken gewesen waren und wo der Anker und wo der Name gestanden hatte:
True Love
.
Und kaum hatte ich es noch lange nicht fertig, aber so, dass man es schon richtig gut erkennen konnte, da kiekste Paula ganz schrill und schrie: ›Mann, das kenn ich, das Segelschiff! Das ist meins! Das hat Dieter mir geschenkt!‹ Und ich drehte mich nach ihr um und hätte ihr dann doch recht gerne den Hals umgedreht.«
10
»Als ich also merkte, dass Paula ein echtes Organisationstalent war,
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