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Hendrikje, Voruebergehend Erschossen

Hendrikje, Voruebergehend Erschossen

Titel: Hendrikje, Voruebergehend Erschossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Purschke
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mir ernsthaft überlegen, ob ich in die Lüneburger Heide fahre zu Holgers Mutter und der alles erzähle. Die aber würde mich, das war mir klar, lynchen, und da dachte ich: Wieso mich, wieso nicht Ernst, der das Sorbet vergiftet hat?«
    »Das heißt, erst als Sie gezwungen waren, sich über Ihre Verantwortung an Holgers Tod Gedanken zu machen, waren Sie bereit, Ernst die Schuld zu geben?«
    »Ja, schon. Das Gewissen ist ein Verdrängungskünstler.«
    »Ich glaube, der Verstand ist ein Verdrängungskünstler, nicht das Gewissen.«
    »Wie auch immer. Jedenfalls bin ich noch weiter gelaufen und stand plötzlich vor einem Abbruchhaus, ein allein stehendes, vierstöckiges, uraltes Patrizierhaus, und ich dachte: gut, vier Wände, wunderbar. Ich bin rauf auf das Grundstück, und da sah ich, dass im ersten Stock des Hauses ein ganz kleines, funzeliges Licht brannte, und ich dachte: Gut, da ist schon jemand, da bin ich wenigstens nicht alleine. Die unteren Fenster und die Tür waren mit Brettern vernagelt, aber nach einiger Zeit hab ich einen Eingang gefunden: Ein Souterrainfenster war offen, da konnte ich einsteigen. Ich hab das Erdgeschoss gefunden und das Treppenhaus und bin in den ersten Stock gegangen. Da hab ich den schwachen Lichtschein gesehen und bin dem nach, er kam gleich aus dem ersten Zimmer, das am Anfang des Flurs lag. Ich bin vorsichtig hingeschlichen und erst mal im Türrahmen stehen geblieben, um zu gucken.
    Auf dem Fußboden brannte eine einzige Kerze, und ich sah, dass eine, nein: zwei Gestalten sich in die Ecke drückten.
Mir wurde flau, und ich duckte mich automatisch ein bisschen in mich selbst hinein. Aber dann kapierte ich, dass es die beiden Gestalten waren, die vor
mir
Angst hatten. Dann hörte ich ein fiepsiges Winseln und merkte, dass eine der beiden Gestalten ein Hund war, ein großer Hund, und ich sah zwei mädchenhafte Arme, die den Hund fest umklammerten. Und dann erkannte ich das Gesicht, das zu den mädchenhaften Armen gehörte: Paula! Paula und Paula, ihr Köter.
    Ich merkte, dass Paula mich auch erkannt hatte, sie sah mich angstvoll an, mit aufgerissenen Augen. Ich spürte ja den Kerzenschein auf meinem Gesicht und wusste, dass ich gut beleuchtet war, man konnte mich erkennen. Ich stand wie angewurzelt da. Da saß also die Brandstifterin.
    ›Ich könnte dich umbringen‹, sagte ich zu ihr, und sie fing sofort an zu heulen: ›Ich weiß!‹
    Langsam bin ich weiter ins Zimmer hinein gegangen und sah, dass Paula sich hier häuslich eingerichtet hatte. Es gab einen Schlafsack und eine zusätzliche Decke, es lagen ein Hundenapf und ein Rucksack herum, und da obendrauf lag ein Apfel. Ich bin langsam zu Paula hingegangen, und die kriegte wahnsinnig Angst, sie nahm den Apfel und hielt ihn mir hin und sagte: ›Da!‹
    Ich hab den Apfel genommen und sofort gegessen, im Stehen und ohne mit Paula zu reden. Ich hab das mit Absicht gemacht, um Paula zu demonstrieren, wie es ist, wenn einem das Letzte, was man hat, vor der Nase kaputt gemacht wird. Es macht Lärm, wenn man einen Apfel isst, und ich machte jetzt extra Lärm mit dem Apfel, aus Rache. Ich habe in aller Seelenruhe schön laut ausgekaut und ausführlich runtergeschluckt. Den Krips hab ich übrig gelassen, vorsichtig auf den Fußboden gelegt und dann mit Brunos Schuhen kaputt getreten. Und als ich damit fertig war, hat Paula gesagt: ›Ich hab auch noch Cornflakes und Snickers!‹
Und dann fing sie an, sich zu entschuldigen, wie wahnsinnig leid ihr das alles täte, sie hätte sich in meinem Atelier auf dem Gaskocher einen Kaffee kochen wollen, wäre aber auch schon reichlich bekifft gewesen, und dann dachte sie, sie könnte ein bisschen versuchen, wie es wäre, mit dem Terpentin, das überall herumstand, zu schnüffeln, weil sie doch den wahnsinnigen Liebeskummer gehabt hätte, und dann hätte sie noch eine geraucht, weil Tabak hätte sie noch gehabt, nur keinen Shit mehr, und plötzlich hätte es gebrannt, und sie wüsste echt nicht, wie das nun hätte passieren können. Jedenfalls hätte sie plötzlich Flammen gesehen.
    Ich hab sie gefragt, ob sie nicht wenigstens den Versuch gemacht hätte, das Feuer zu löschen, und sie sagte, doch, das hätte sie, da wär ja mein Schlafsack gewesen und den hätte sie genommen und versucht, die Flammen damit auszuschlagen, aber da hätte der Schlafsack gebrannt und da wär sie dann weggelaufen.
    Ich guckte sie nur an, und sie hielt meinen Blick plötzlich kackfrech aus und rief: ›Mensch! Du bist

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