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Hendrikje, vorübergehend erschossen

Titel: Hendrikje, vorübergehend erschossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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vorbei ist, die Geschirrspülmaschine summt und die Mittagsgäste noch nicht da sind, dann lese ich die Zeitung. Das heißt,
     eigentlich nur das Horoskop und die Kolumne von Sugar Brown.«
    Doktor Palmenberg kennt offenbar die Kolumne und lacht auf: »Sugar Brown, ja!«
    »Sagen Sie, ist dieser Mann nicht unheimlich geistreich und witzig?«
    »Ja, und auch sehr klug.«
    »Also das finde ich auch. Sugar Brown ist an solchen Tagen mein einziger Lichtblick. Ich will mir also gerade die Zeitung
     schnappen, als der erste Stammgast hereinkommt. Der doofe Bruno.«
    »Haben Sie für ihn die Brote belegt?«
    »Nee! Bruno hat noch nie was bei uns gegessen. Bruno kommt um halb zwölf und hält sich eine Stunde an einem Espresso fest.«
    »Und Bruno schnappt Ihnen Ihre Zeitung weg, und Sie können nichts dagegen machen, weil es die Zeitung für die Gäste ist.«
    |11| »So ist es. Das ist einfach ein Scheiß-Timing mit Bruno. Er kommt immer genau um halb zwölf, und das ist der Zeitpunkt, wo
     ich mal eine Viertelstunde Zeit habe. Man kann die Uhr danach stellen: Ich lese die Schlagzeile, blättere weiter und überfliege
     die Seite 3, und noch ehe ich überhaupt zum Feuilleton komme, setzt Bruno sich an den Tresen und stiert auf mich und die Zeitung
     wie ein Biafra-Kind auf ein Schüsselchen Reis. Dann klappe ich die Zeitung zu und schiebe sie ihm wortlos hin. Er bestellt
     schon gar nicht mehr, ich weiß ja sowieso, was er will. Ich mache ihm seinen blöden Espresso und stelle ihm den wieder ohne
     ein überflüssiges Wort hin, und Bruno nuschelt sich so was wie ein ›Danke‹ in seinen Bart. Und dann braucht er geschlagene
fünfundvierzig
Minuten, bis er das Käseblättchen durch hat, also wenn er damit durch ist, dann ist der Laden voller Stammgäste, und bis die
     weg sind und bis ich alles aufgeräumt habe, da wird es Nachmittag drüber, und nur wenn das Nachmittagsgeschäft ruhig ist,
     habe ich überhaupt noch Gelegenheit, Sugar Browns Kolumne zu lesen.«
    »Und wenn Sie diese Lektüre versäumen, ist Ihnen der Tag verdorben.«
    »Machen Sie Witze? Ich versäume die Kolumne nie. Ich hab sie dann eben nach Feierabend gelesen. Aber das ist mir irgendwann
     zu blöd geworden und ich hab mir gedacht, also Sparsamkeit muss ja nicht in Geiz ausarten, und hab mir ein Abonnement geleistet.
     Jetzt kommt die Zeitung nachts, und wenn ich morgens aus dem Haus gehe, dann liegt sie auf der Matte, und dann stecke ich
     sie ein und nehme sie mit ins Café, aber ich lege sie natürlich nicht für die Gäste aus. Ich sorge dafür, dass um Punkt halb
     zwölf kein anderer die Gästezeitung hat, und lege sie Bruno gleich an den Platz, damit dieses Blicke-Theater gar nicht erst
     losgeht. Gott, war Bruno gebauchpinselt, als die Zeitung zum ersten Mal an seinem |12| Platz lag, als würde sie auf ihn warten. Er hat sich hingesetzt und geschmunzelt, und ich dachte: Wie blöd von mir, jetzt
     bildet der sich noch was drauf ein.«
    »Was ist falsch an Bruno?«
    »Alles. Er ist so uncharmant und so mundfaul. Ich meine, wir leben doch in menschlicher Gesellschaft, ist es denn zu viel
     verlangt, ›Guten Morgen‹ und ›Guten Tag‹ zu sagen? Oder mal zu fragen, wie’s geht? Aber nein, unser Bruno schwebt über solchen
     Konventionen. Ich finde nicht, dass er sich das leisten kann. Also wenn er jetzt besonders toll aussehen würde, dann könnte
     ich begreifen, dass einer einfach arrogant ist, aber Bruno? Bruno ist direkt eine Beleidigung fürs Auge, ehrlich. Ich kann
     mich nur wiederholen, wir leben doch in menschlicher Gesellschaft, kann man sich nicht so zurechtmachen, dass es nicht wehtut,
     jemanden anzugucken? Aber nö, nicht mit Bruno, der schwebt da drüber, Bruno trägt gelbe Frotteesöckchen in offenen Sandalen,
     schlabberige Hosen, schlabberige Pullis …«
    Doktor Palmenberg schaut stumm an Hendrikje herunter, deren Äußeres der Aufmachung von Bruno erstaunlich nahe kommt. Hendrikje
     merkt das und ist peinlich berührt. Sie räuspert sich.
    »Ja, und er hat einen Bart wie ein Weihnachtsmann, ein Biotop, fürchte ich, und er trägt eine Brille mit den reinsten Glasbausteinen
     von Gläsern, hinter denen seine Augen nur noch als stecknadelkopfgroße Pünktchen auszumachen sind. Und dann raucht er dieses
     Stinkezeug, also irgendwelche billigen Zigarillos, die mir das ganze Café verpesten. Widerlich, wirklich.«
    Doktor Palmenberg schweigt.
    »Naja, an diesem Tag kam Holger ins Café, kurz nachdem Bruno aufgekreuzt war. Bruno

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