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Hendrikje, vorübergehend erschossen

Titel: Hendrikje, vorübergehend erschossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Omi immer heiße Suppe parat gehabt. Es war auch schon dunkel, aber ich bin
     trotzdem noch ins Atelier gefahren, mit meinem schönen Rennrad. Mein schönes knallrotes Rennrad. Mein Atelier war in Altona,
     in einer stillgelegten Fabrik, also nur ein kleiner Verschlag, nichts Dolles, auch nicht das Wahnsinnslicht, aber irgendwie
     besser als nichts, schon brauchbar. Die meisten meiner Bilder standen dort, zu Hause hatte ich nur wenige, weil meine Omi
     sie nicht sehen mag. Sie sind ihr zu wild und zu nackt und zu sexy, das mag sie nicht. Das verstehe ich auch, sie kommt halt
     aus einer ganz anderen Generation. Also, auf dem Weg ins Atelier hab ich Paula getroffen. Das passiert oft. Paula ist so’n
     kleines Punkmädchen, sie hat immer so einen riesigen Hirtenhund dabei, und der Hund heißt auch Paula, obwohl er ein Rüde ist.
     Also Paula haut mich jedesmal an und fragt: ›Haste mal ’n paar Euro?‹, und je nachdem wie mein Trinkgeld ist, gebe ich ihr
     manchmal was. An dem Tag war das Trinkgeld gut, diese Schüler vom Vormittag waren echt nicht geizig gewesen, und da hab ich
     ihr zwei Euro gegeben |20| . Und da hat Paula sich gefreut, hat sich bedankt und ist abgezischt. Ich war dann vielleicht zwei Stunden im Atelier.«
    »Nach einem so anstrengenden Arbeitstag gehen Sie noch ins Atelier und malen? Bei Kunstlicht?«
    »Nein. Ich setze mich hin, koche mir auf dem Gaskocher einen Kaffee und schaue meine Bilder an und genieße die Ruhe. Nichts
     hören, keinen Menschen sehen, ganz alleine sein. Das ist schön, dabei erhole ich mich. Dann sehe ich Fehler in meinen Bildern
     und weiß, was ich am nächsten Tag, den ich ganz im Atelier sein kann, korrigieren will. Ich bekomme neue Ideen, manchmal mache
     ich eine grobe Skizze. Dann bin ich wieder nach Hause gefahren auf meinem schönen roten Rennrad. Die Omi war vor dem Fernseher
     eingeschlafen, ich hab sie geweckt und sie ging schlafen, und ich bin dann auch schlafen gegangen. Ich war schon fest eingeschlafen,
     als Ernst mich wieder rausgeklingelt hat, und da hab ich mich gefreut, dass er noch vorbeikam.«
    »Ernst?«
    »Ja. Ernst. Mein Freund. Wobei man dazu sagen muss, dass Ernst Wert darauf legte, nicht mein Freund zu sein, also eher mein
     Nicht-Freund. Er hat immer gesagt, er wär nicht mein Freund, sondern mein Geliebter, und ich wär nicht seine Freundin, sondern
     seine Geliebte. Naja, ich hab zu ihm gesagt, dass ich das komisch finde, wo er doch seit einem Jahr an fünf Abenden in der
     Woche regelmäßig zu mir kommt und mit mir schläft und über Nacht bleibt, das ist ein bisschen viel für nur einen Geliebten.
     Da hat Ernst ganz klar gesagt, wenn ich damit nicht zurechtkomme, können wir es sofort lassen und ihn würde es sowieso völlig
     abturnen, dass ihn jedesmal, wenn er bei uns aufs Klo geht, das Gebiss von meiner Omi im Glas auf der Waschmaschine anlacht
     und dass er dann jedesmal fürchtet, nie wieder einen |21| hochzukriegen, und also hab ich gesagt: ›Nee nee, ich komme sehr gut damit klar.‹«
    »Ehe unsere Stunde zu Ende geht, habe ich einige Fragen.«
    »Ja.«
    »Was für ein Liebhaber war Ernst? War die Sexualität zwischen Ihnen so bemerkenswert, dass es die Demütigung wert war?«
    »Demütigung?! Also, wenn man kein Familienmitglied ist, dann ist so ein Gebiss auf der Waschmaschine … also … nein … er hat
     sich Mühe gegeben. Er kommt immer erst am späten Abend, er hat einen eigenen Copyshop, der um acht zu macht, und dann macht
     er noch bis um zehn die Tagesabrechnung, und dann besucht er mich. Wenn er kommt, schimpft er erst mal, weil er wirklich sehr,
     sehr nervtötende Tage hat, dann regt er sich über den Türken auf, der nebenan im Gemüseladen ein Kopiergerät zwischen den
     Zwiebeln aufgestellt hat und seine Preise unterbietet, und über eine Rechtslage, die so was nicht verbietet, und dann hole
     ich Wein und gebe ihm ein Glas und sage: Wenn der Planet dir auf die Nerven fällt, gibt es doch immer noch mich. Und gemeinsam
     können wir uns doch die Bettdecke über’n Kopf ziehen. Da hat Ernst mich ganz komisch angeguckt, ein bisschen so, als hätte
     ich sie nicht mehr alle, und dann hat er gesagt: ›Na, dann komm her, du Tier.‹ Und dann …
uii …
Er hat, wenn er mit mir geschlafen hat und wenn dann ein bestimmter Punkt erreicht war, immer innegehalten und wollte auf
     mich warten. Er hielt inne und sagte: ›Na los, komm, du zuerst! Lass dich fallen! Du zuerst!‹ Aber bei mir geht das nicht
     so schnell.

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