Hendrikje, vorübergehend erschossen
Beamten begleitet, kurz in meine Wohnung zu gehen, um die wichtigsten Sachen, die ich brauchte, zu holen und zu ordnen.
Ich hab das neue Badezimmer gesehen, das Ernst eingebaut hatte, mit den Kacheln, von denen Dieter gesagt hatte, sie würden
nichts aushalten, und in der Küche die neue Küchenzeile mit der neuen Dunstabzugshaube, und ich hab einen Koffer packen dürfen.
Den hab ich aus Omis Schlafzimmer vom Schrank geholt und ein Bild von ihr eingesteckt, eine ihrer Porzellanballerinas zum
Andenken, meine Anziehsachen und Schuhe, Unterwäsche und Zahnbürste und natürlich die Mappe, in der ich die Sugar-Brown-Kolumnen
gesammelt habe. Sonst hätte ich die ja gar nicht hier dabeihaben können. Um den Rest meiner Wohnung hat sich dann der Sozialdienst
hier aus ’m Knast gekümmert. Was im Klartext Sperrmüll heißt.«
»Ja … Da haben Sie – also wenn ich das richtig sehe, Hendrikje, sind Sie jetzt fast ein Dreivierteljahr hier in der Vollzugsanstalt |167| – und da haben Sie die ganze Zeit über
freiwillig
Brunos Sachen angehabt?«
»Naja, außer, wenn sie mal gewaschen werden mussten. Ja.«
»Ich habe Sie jedenfalls noch nie in etwas anderem gesehen. Können Sie mir das erklären?«
»Ach Gott, ich weiß auch nicht. Ich hatte keine Lust auf meine Sachen. Ich fühlte mich ganz wohl in Brunos Klamotten. Vielleicht
wollte ich ja büßen. Ja, das war’s, glaube ich. Ich wollte mich selbst bestrafen dafür, dass ich Bruno wegen seiner Sachen
verspottet hatte, und sie zur Strafe selber tragen. Ich glaube, so war das«, versichert Hendrikje eifrig.
Die Palmenberg schaut Hendrikje mit einem verschmitzten Kopfschütteln an: »Sie fühlten sich
gerettet
in seinen Sachen.«
»Hmmm«, nickt Hendrikje, »oder so.«
Und Hendrikje schweigt lange und sagt dann sehr leise: »Er war hier.«
»Wer?«
»Na Bruno!«
»Bruno hat Sie hier in der Haftanstalt besucht?«
»Ja. Sie wissen doch, dass ich ihm den Brief geschrieben habe.«
»Ja, aber das ist Monate her …«
»Ja und? Ich hab doch Zeit.«
»Sicher. Ich wusste nicht, dass der Kontakt noch aufrechterhalten blieb, nachdem Bruno Ihnen geschrieben hatte, dass er das
Schmuckkästchen nicht mehr gefunden hatte.«
»Ja, er hat mir das eine übrig gebliebene Bild mit Dieters Segelschiff gebracht.«
»Oh, das ist aber sehr nett.«
»Ja. Sehr nett.«
»War das das erste Mal, nachdem Bruno Sie bei sich zu |168| Hause gesund gepflegt hatte, dass Sie ihn wiedergesehen haben?«
»Ja, klar, wann denn sonst?«
»Und wie gestaltete sich Ihre Begegnung?«
Blöde Frage. Soll sie jetzt der Palmenberg erzählen, dass Bruno wirklich nur das Bild brachte, dann ziemlich erschrocken war,
als er hörte, dass Hendrikje gleich zwei und nicht nur eine Seele auf ihrem Gewissen hat, und gleich wieder gegangen ist?
Und wie bodenlos tief enttäuscht sie darüber war? Muss denn die Palmenberg alles wissen? Muss sie der denn schon wieder eine
Schlappe eingestehen?
»Ach«, sagt Hendrikje mit gespielter Gleichgültigkeit. »Er hat das Bild gebracht. Wir machten ein bisschen Small Talk, und
dann bin ich auch bald wieder zurück auf Stube, weil ich ja dann auch zum Küchendienst musste, und so wahnsinnig viel haben
Bruno und ich uns ja noch nie zu sagen gehabt, also.«
Das muss für die Palmenberg reichen.
»Ahaa …«, sagt die Palmenberg verständnislos und schaut Hendrikje fragend an, die aber schaut auf die Orchideen auf dem Glasbord
vor der Waschbetonwand und ärgert sich, dass sie keine auf Stube hat.
»Kann ich jetzt gehen?«
»Ja«, sagt die Palmenberg, »gehen Sie.«
Und Hendrikje nickt beleidigt und geht und hat schon lange nicht mehr so schlechte Laune gehabt.
Orchideen im Gefängnis. Sentimentale Scheiße.
»Mannscheißdiewandan! Hendrikje! Ich kann echt nicht schlafen, wenn du die ganze Nacht durch heulst!«, beschwert sich Gudrun.
Es ist halb drei, um sechs Uhr dreißig ist die Nacht vorbei, aber Hendrikje flennt, wie wenn sie Geld dafür kriegen würde.
|169| »Ich hab Magengeschwüre und wenn ich nicht penne, werd’ ich nicht gesund!«
Das stimmt. Gudrun hat wirklich Magengeschwüre mit ihren dreiundzwanzig Jahren und muss drei verschiedene Tabletten am Tag
einnehmen und braucht ihren Schlaf.
»Was ist denn los?«, fragt Gudrun gequält, weil Hendrikje nicht aufhört zu heulen. Und so erzählt Hendrikje Gudrun alles von
Bruno, die ganze lange Geschichte, dass Bruno zuerst ihr Lieblingsblödmann im Café war, ihr aber dann
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