Hengstgeflüster (German Edition)
kullerte ihr über die Wange. „Jeden Tag hab ich gebetet, für dich, Nettie, und für diese Familie. Und plötzlich…“, sie schniefte und schnäuzte sich in Großmamas Stofftaschentuch, „…sind so viele Leute hier. Alles ist anders, was bedeutet das?“
Natalia fasste Nona am Ellenbogen. „Komm, lass uns reingehen und Kaffee aufsetzen, ja?“
Da erblickte Nona Chrispins Gipsfuß. „Oh weh…mein kleiner Junge hat sich schlimm verletzt?“ Sie tätschelte Chrispins Wange, der dastand wie ein Bub an seinem ersten Schultag. Natalia kicherte über die blühende Wortwahl der Signora. Sie fasste Bell an der anderen Hand.
„Nona, dass ist Bell, die Verlobte von Chris.“
Bell wandte sich schnell nach Lori um, doch die war schon im Haus verschwunden.
„Bella mia! Nein, so eine Freude an meinen alten Tagen. Dass ich das noch erleben darf.“ Wieder glitzerten ihre Augen verdächtig.
Bell verspürte auch einen Kloß im Hals. Wie schön es doch war, wenn sich jemand so freute, einen zu sehen. Auch, wenn man diese Person gar nicht kannte. Diese ganze Heulerei in den letzten Tagen war wohl ansteckend.
„Komm zu Nona, glückliches Mädchen.“
Bell lächelte versonnen. Was für eine nette alte Dame! Genau das Gegenteil von der grantigen, vertrockneten Karlee Karsson. Apropos…
„Was ist das für ein verdammter Krach?“ Der Weiße Hai war im Anmarsch. „Nicht einmal mein Mittagsschlaf wird mir hier gegönnt“, schnaubte Karlee empört, „ihr wollt mich doch nicht schon vorzeitig ins Grab bringen?“
Ein kollektives Seufzen erfüllte das kleine Grüppchen vor dem Haus. Karlee konnte Gedanken lesen, dachte Bell.
Signora Antonella war wie vom Blitz getroffen stehen geblieben. Bestürzt starrte sie die Treppe hinauf.
„Diavolo“, flüsterte sie und bekreuzigte sich.
„Nimmt dieser Andrang hier denn gar kein Ende?“, schimpfte Karlee. „Was ist das hier, ein Armenhaus?“ Wütend starrte sie die Signora an.
„Sind Sie auch eine Tante, Mutter, Großmutter oder Stiefschwester oder so was Ähnliches“, fauchte sie Nona mit einem boshaften Seitenblick auf Natalia an.
Aha, sie hatte Natalia also durchschaut! Na ja, nicht weiter verwunderlich, dachte Bell. Der Teufel hörte vermutlich in China eine Fliege spucken.
„Ich bin die Haushälterin“, sagte Nona würdevoll.
„Ha“, fuhr Karlee auf, „wo waren Sie heute Morgen, hm? Da wäre Ihre Person gefragt gewesen.“
Die Signora blickte Karlee unbeeindruckt in die Augen. „Ich habe mein Mütterchen, Gott hab´ sie selig, zu Grabe getragen“, entgegnete sie tonlos.
Alle Achtung, dachte Bell. Keiner hatte sich bisher so gar unbeeindruckt von Karlees Gemeinheiten gezeigt wie diese kesse Lady hier.
„Na dann …“, Karlee musste immer das letzte Wort haben, schluckte aber zumindest hart nach Nonas Eröffnung, „…mir sind auch schon vier Ehemänner abgekratzt. Das Leben ist grausam.“ Sie zuckte eisig mit ihren Schultern.
„Ich verstehe sie“, sagte die Signora daraufhin mit hoher Stimme und begann mit Natalia auf der einen und Bell auf der anderen Seite die Treppe hinaufzusteigen.
Karlee beobachtete sie bohrend. „Was verstehen Sie?“, höhnte sie.
Nona spitzte ihre Lippen, sah die andere geradeheraus an und antwortete: „Ihre Ehemänner natürlich.“ Und sie waren im Haus verschwunden.
Natalia kicherte. Wie auch Bell, die Nona stolz in den Arm nahm.
„Es tut uns Leid wegen Ihrer Mutter, Signora Antonella“, sagte Bell dann, weil sie es für angebracht hielt.
„Meine Lieben“, meinte diese und seufzte, „ich bin froh, dass sie jetzt nicht mehr leiden muss.“ Alle schwiegen in stillem Einvernehmen.
Am Nachmittag saßen die Frauen mit Chrispin bei Kaffee und Kuchen im schattigen Teil des hinteren Gartens.
Signora Antonella war im Traum das Feuer begegnet, erzählte diese gerade. Chrispin auch, gestand dieser. Die Lady fasste seine Hand. Sie musste immer jemanden drücken und herzen, fiel Bell auf. Eine Geste, bei der man sich immer willkommen und anerkannt fühlte. Bell liebte Nona jetzt schon.
Das Feuer war der Teufel, sagte Nona gerade mit schreckgeweiteten, verdüsterten Augen, als blickte sie in eine andere Welt hinein. Alle Anwesenden waren einstimmig der Meinung, dass Karlee auch Feuer war.
„Wir sind gemein und hinterhältig“, stellte Natalia fest, „keinen Deut besser als Karlee.“ Alle stimmten zu. Keiner schien sich daran zu stören. War doch schön, so ein gemeinsamer Feind. Stärkte den Zusammenhalt. Bell
Weitere Kostenlose Bücher