Hengstgeflüster (German Edition)
Er würde Augen machen, wenn er wieder hier auftauchte. Ja, es würde wohl ein heftiges Donnerwetter geben. Bell grinste. Sie freute sich schon direkt darauf. Sie vermisste ihn wohl ganz ordentlich. Solche Dinge merkte man meist erst dann, wenn dieser jemand mal nicht hier war.
Bell teilte den Heupinkel gerecht in zwei Hälften und stieß Tango bestimmt gegen die Brust. Der kleine Rüpel hatte sie vor lauter Gier beinahe über den Haufen gerannt, als sie ihm das Futter reichte. Annie war in dieser Hinsicht nicht so stürmisch. Sie war eben sehr sensibel, nach dem Motto: Tu mir nichts, dann tu ich dir nichts. Sie erinnerte Bell sehr an Dessie.
Befangen hielt sie inne. Oh mein Gott. Sie hatte gerade einen Meilenstein passiert. Ohne Zusammenbruch hatte sie gute Gedanken über Dessie zugelassen. Konnten Wunden etwa doch verheilen? Man würde sehen…
Hartes Poltern riss sie aus ihren Gedanken. „Aufhören, alle beide“, befahl sie und sogleich verstummten die Tiere.
Sie würden sich noch die Hufe abradieren, wenn sie damit so behände über den Boden kratzten. Beide Pferde liefen barfuss, sie waren unbeschlagen. Die Meinungen darüber waren geteilt. Bell fand es okay. Für empfindliche Pferde war es besser. Sonst drückte gelegentlich der Schuh, und das könnte schlimme Folgen haben, wenn das Pferd bei Wettbewerben laufen musste. Doch auch Barfussgeher benötigten die intensive Betreuung eines erfahrenen Hufschmieds.
Schweißüberströmt beendete Bell die Raubtierfütterung. Ein beruhigendes, regelmäßiges Kauen drang durch den Stall. Es roch duftig und würzig nach frischem Heu und kernigem Hafer. Bell hörte ihren Magen knurren. In den letzten drei Wochen hatte sie bereits fünf Kilo verloren. Da sie von Haus aus ein feingliedriger Mensch war, sah sie aus wie der lebendige Tod. Die ungewohnte Bewegung hier forderte sie in jeder Hinsicht.
Ich bin verrückt nach dir und deinem süßen Körper , hörte sie Chris in Gedanken. Sie schauderte. Ein warmes Gefühl breitete sich von ihrer Mitte aus und umklammerte ihr Herz. Wie herrlich dieses neue Körperbewusstsein doch war!
All ihre Sinne waren überreizt und ihre Antennen ausgefahren. Das Reiten hatte sie wieder sensibilisiert und Mister Perfekt tat sein Übriges dazu. Sie war also in jeder Beziehung scharf. Scharf auf Pferde, scharf auf Männer! Nein, korrigierte sie sich. Eigentlich war sie nur scharf auf einen bestimmten Mann.
Wie herrlich lebendig sie sich fühlte. Körperlich sowieso, aber auch geistig. Gefordert, durch die Arbeit mit diesen intelligenten, starken Tieren und nicht zu vergessen durch die rasanten Schlagabtausche mit Chris.
Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde – wie wahr, wie wahr. Er war schon ein kluger Mann, dieser Dichter, dessen Name Bell nicht einfallen wollte.
Der Schweiß rann ihr in Strömen über den Rücken, die Brüste und sogar zwischen ihre Pobacken. Die Hitze war eine Folter, im wahrsten Sinn des Wortes. Tango und Annie würden heute warten müssen. Nachts, sollten die Temperaturen erträglicher werden, würde sie mit Tango und Annie trainieren.
„Hab ich mir gedacht, dass ich dich hier finde.“ Chrispin mühte sich ungelenk bei der Stalltür herein, rechts auf eine Krücke gestützt. Er trug graue Shorts und ein ausgewaschenes schwarzes Hemd, auf dem der Schriftzug Reining Warriors prangerte. Chrispin war eben ein unverbesserlicher Horseman. Dauernd schlich er im Stall herum, flüsterte mit den Pferden und beäugte diese kritisch, als würde er befürchten, Bell wäre eine Gefahr für seine Lieblinge. Das war natürlich Quatsch, dachte Bell, denn Chrispin traute ihr scheinbar vieles zu, aber dennoch – er sah sein kaputtes Bein als seine größte Strafe an. Er brauchte die Pferde. Ihren Geruch, ihre wohl dosierte Stärke, ihre selbstlosen, treuen Seelen. Bell verstand ihn, sie fühlte genauso. Wie zum Teufel hatte sie sich bloß zehn Jahre von ihnen Abwenden können? Wie hatte sie das bloß geschafft?
Doch nun konnte sie es sich ja eingestehen. Sich bekennen. Zur Liebe zu diesen Tieren. Sie würde alles in Kauf nehmen. Auch, wieder verletzt zu werden. Ja, sie würde alles tun für das Geschenk, das ihr vor die Füße gefallen war und dass sie erst nach einigem Zögern angenommen hatte.
„Du brauchst nur der Nase nach zu gehen“, lächelte Bell und deutete dabei auf Lulu, die schwanzwedelnd Chrispin begrüßte.
„Benehmen sie sich auch artig?“ Chrispin meinte damit die Pferde.
Bell winkte ab.
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