Henkerin
durchgespielt: ein Hohlweg, der von vorne und hinten von Söldnern blockiert wird, die im Wald unter Laub, in Gräben und auf Bäumen versteckt gewartet haben. Die Späher werden getötet und durch eigene Männer ersetzt, die Täuschung ist nicht zu durchschauen.
Mit dem Kreuzfeuer der Bögen und Armbrüste konnten wenige Männer eine ganze Armee vernichten. Melisande schauderte, faltete die Hände und betete inbrünstig. »Bitte, bitte, lass meinen Vater, meine Mutter und meine Geschwister nicht sterben. Wir haben nichts Unrechtes getan. Bitte, bitte. Ich werde auch nie wieder die heilige Messe versäumen oder Böses über Pater Nikodemus denken.«
Die Schreie der verletzten Männer wurden immer lauter, immer gellender. Melisande konnte nicht anders. Sie musste wieder hinsehen. Der Pfeilhagel war versiegt, die Feinde hatten alles verschossen, was sie hatten. Immer mehr Männer drängten gegen die Verteidiger an. Vater und die überlebenden Söldner hatten eine Phalanx gebildet und hielten mit Piken und Bihändern die Gegner auf Distanz. Überall lagen Männer, die vor Schmerz schrien, Blut färbte die Erde rot. Melisande hätte nicht gedacht, dass in einem Menschen so viel Blut fließen konnte. Sie erkannte den Hausverwalter, einen alten Mann, der nicht mehr kämpfen konnte und ihr wie ein Großvater lieb war. Mehrere Pfeile ragten aus seiner Brust, aber er lebte noch. Seine Lippen bebten, die Hände hatte er zum Gebet gefaltet.
Ohne nachzudenken, sprang sie vom Wagen, achtete nicht auf die Angstschreie ihrer Mutter und lief zu ihm, kniete sich nieder, nahm seine Hand. Das Blut rann aus vielen Wunden. »Ich bin da, Meister Albrecht, habt keine Angst.«
Er schlug die Augen auf und lächelte. »Melisande.« Sein Blick wurde ernst. »Ihr müsst fliehen«, flüsterte er kraftlos. »Sofort. Nehmt Eure Mutter und Eure kleine Schwester, und flieht. In der großen Truhe auf dem Karren ist ein Beutel Goldmünzen. Nehmt ihn mit. Bindet ihn Euch um. Macht schnell. Sonst werden sie Euch alle umbringen.«
Melisande drückte seine Hand fester. »Aber wohin?«
Der Hausverwalter hustete, Blut lief ihm aus dem Mundwinkel. »Geht ein Stück dort entlang.« Er deutete mit einer schwachen Kopfbewegung zum Karren. »Da steht ein Wacholderbusch. Dahinter führt ein Weg auf die Höhe. Geht, Melisande, geht jetzt sofort!« Die Augen des Verwalters brachen, sein Kopf fiel nach hinten.
Tränen schossen Melisande in die Augen, aber sie hatte verstanden. Mit ein paar Sprüngen war sie am Wagen, fischte den Beutel aus der Truhe, band ihn unter ihr Kleid und zerrte die Mutter am Ärmel, die immer noch hinter dem Fass hockte, Gertrud fest an sich gepresst. »Wir müssen weg hier, sofort! Meister Albrecht ist tot. Er hat mir einen Fluchtweg gezeigt.«
Beata stöhnte und presste sich eine Hand auf den Bauch. »Nicht jetzt«, stöhnte sie. »Nicht jetzt.«
»Doch, Mutter. Bitte. Komm schon! Du musst leben! Denk an ihn!« Melisande zeigte auf ihren Bauch, vor Verzweiflung liefen ihr Tränen über die Wangen. Aus den Augenwinkeln wurde sie gewahr, wie einer der Verteidiger unter den Hieben von zwei Angreifern zu Boden ging und verzweifelt versuchte, den tödlichen Schlägen zu entgehen. Zuerst hackten sie ihm einen Arm ab, danach stießen sie ihm die Schwerter in den Bauch. Er zappelte, dann lag er plötzlich still.
Beata machte einen Versuch, sich aufzurichten, doch ihr versagten die Kräfte. Melisande versuchte sie zu stützen, aber sie schaffte es nicht. Hilfesuchend blickte sie sich um. Jeder war mit sich selbst beschäftigt. Die wenigen Männer, die noch kämpfen konnten, wehrten sich verbissen gegen die Übermacht, die anderen waren entweder tot oder lagen verletzt am Boden. Vater kämpfte immer noch am hinteren Ende des Zuges, aber er hatte schon einige Meter zurückweichen müssen. Vorne am Zug sah es nicht anders aus. Stück für Stück gaben die Verteidiger nach, obwohl die Verluste der Angreifer erheblich waren.
Melisande suchte nach Rudger. Er stand nicht mehr neben Vater. Er war überhaupt nicht zu sehen. War er tot? Der Gedanke warf sie fast um. Sie riss sich zusammen. Sie hatte eine Aufgabe, musste Mutter, Gertrud und das Ungeborene retten.
Sie wandte sich wieder ihrer Mutter zu, rüttelte sie verzweifelt an der Schulter, schrie sie an: »Wir müssen weg! Hast du nicht verstanden? Wir müssen weg. Sofort. Steh auf! Steh jetzt auf! Sofort!« Aber Beata reagierte nicht. Melisande zögerte eine Sekunde, dann schlug sie ihrer
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