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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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zusammen und starb.
    Überall setzte Geschrei ein. Ein Bolzen nach dem anderen ging nieder. Jemand brüllte Befehle, Pferde schnaubten unruhig. Melisande sah zu ihrer Mutter. Sie war leichenblass, presste Gertrud schützend an sich. Rasch kauerten sie sich zwischen die Truhe und ein Fass. Beata zitterte, Gertrud wimmerte verschlafen.
    »Er wagt es tatsächlich«, flüsterte Beata. »Gott sei uns gnädig.« Sie faltete die Hände und betete.
    Wieder schrie jemand. Gertrud fuhr hoch und heulte los. Bolzen schossen jetzt über den Karren hinweg, von rechts und links prasselten sie auf den Zug nieder. Melisande, Gertrud und Beata wurden nicht getroffen, wie durch ein Wunder verfehlten die Bolzen den Karren und ihre menschliche Fracht. Endlos schien das Sirren der Geschosse, die Schreie der Männer.
    Schließlich hielt es Melisande nicht mehr aus. Vorsichtig lugte sie über den Rand des Fasses. Was sie sah, erschreckte sie zu Tode. Sie befanden sich im Hohlweg. Zu beiden Seiten ging es steil den Berg hoch. Die Ochsen waren tot, ebenso der Wagenknecht, der sie gelenkt hatte. Um den Wagen herum waren die Söldner in Deckung gegangen, schützten sich mit Schilden vor den Bolzen. Es mussten mindestens zwei Dutzend Schützen sein, die oberhalb des Weges im hohen Gras lauerten, so dicht regneten die tödlichen Geschosse auf sie herab.
    Das Kampfgeschrei wurde lauter. Ängstlich blickte Melisande in alle Richtungen. Wo war Vater? Wo Rudger? Von beiden Seiten drangen jetzt Bewaffnete auf die Verteidiger ein. Melisande schluckte. Das Herz schlug so heftig in ihrer Brust, dass es schmerzte. Da war Vater! Er stand hinter seinen Männern und schickte Pfeil um Pfeil in die Gegner.
***
    Rudger und Konrad hatten die Schilde hochgerissen und waren damit dem sofortigen Tod entgangen. Fast ein Drittel der Männer war gefallen, von den zehn Rittern lebten noch drei. Wer gerade im Gespräch gewesen war oder unaufmerksam, hatte Konrads Schrei »Schilde hoch!« nicht gehört. Die schwer gepanzerten Ritter fielen von den Pferden wie reifes Obst von den Bäumen. Mit einem solchen Angriff hatte niemand gerechnet. Die Wagen waren mit Eisenplatten gepanzert, Schilde waren in ausreichender Menge vorhanden, aber die Überrumpelung war perfekt. Dennoch machten sich Konrads Umsicht und das viele Geld bezahlt. Die Schilde hatte er verstärken lassen, damit sie dem Beschuss von Armbrüsten standhielten. Ohne diesen Panzer hätte keiner der Männer den ersten Angriff überlebt.
    Als der Bolzenregen aufhörte, spähte Konrad vorsichtig nach oben. Die Schützen verzogen sich, aber schon brach der Angriff auf das Ende und den Anfang des Zuges los.
    »Erste Reihe Schilde«, schrie Konrad. »Zweite Reihe Pfeile los!« Er selbst gab seinen Schild weiter, nahm den Bogen und schoss einen Pfeil nach dem anderen in die Reihen der anrückenden Fußsoldaten. Auch diese schützten sich mit Schilden, aber immer wieder schrie ein Mann auf, wenn ein Pfeil eine Schwachstelle in der Deckung fand.
    Konrads Köcher war schnell leer, auch die Armbrustbolzen hielten nicht lange. Aus den Augenwinkeln beobachtete er seinen Sohn und konnte nicht umhin, trotz seiner Angst vor allem Stolz zu empfinden. Ruhig, fast kalt kämpfte Rudger. Auch er hatte seinen letzten Pfeil abgeschossen, warf den Bogen hin und griff zum Schwert.
    Konrad hielt seinen Schwertarm fest. »Rudger, mein Sohn, du bist mein ganzer Stolz. Geh, und rette deine Mutter und deine Geschwister. Geh jetzt sofort. Ich komme nach.«
    Rudger zögerte nicht und rannte los. Zwei Söldner füllten seine Lücke und ließen ihre Bihänder auf die Angreifer niedersausen. Schon wankte die Front der Angreifer, Hoffnung keimte auf.
***
    Melisande jauchzte. Bald würde ihr Vater die Angreifer in den Staub treten und den Anstifter zur Rechenschaft ziehen.
    Da setzte ein erneuter Pfeilhagel ein. Bogenschützen waren nachgerückt und schossen einen Verteidiger nach dem anderen ab. Die Männer konnten sich nicht mehr gegen die Pfeile schützen, die Schilde lagen unerreichbar hinter der Frontlinie. Wie im Traum sah Melisande das Schlachtfeld, als würde sie darüberschweben.
    Beata versuchte, sie zu sich hinter die Truhe zu zerren, doch Melisande konnte ihren Blick nicht von dem abwenden, was draußen geschah. Warum kamen Vater und Rudger nicht hierher, damit sie fliehen konnten? Aber nein. Sie schalt sich selbst ein dummes Ding. Niemand konnte irgendwohin fliehen. Sie saßen in der Falle. Oft hatte sie mit Rudger genau diesen Ablauf

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