Henkerin
Sohn des Erhard Füger, begehrt dringend Einlass«, erwiderte Wendel und erschrak über seine eigene Stimme, die heiser und vollkommen fremd klang.
Hinter dem Tor wurde es still, kurz darauf öffnete sich die Pforte. Ein Wächter, den Wendel recht gut kannte, trat heraus und schaute ihn ungläubig an. »Mein Herr! Wir glaubten Euch im Kerker in Esslingen. In der Stadt heißt es, Ihr wäret festgesetzt und des Meuchelmordes angeklagt.« Der Wächter musterte ihn. »Heilige Maria Mutter Gottes, ich hätte Euch fast nicht erkannt.«
»Alles Unsinn, wie Ihr seht«, sagte Wendel. Er versuchte ein Lachen, das ihm aber nur halb gelang. Als er auf den Wächter zutrat, musste er die Zähne zusammenbeißen, denn der Schmerz ließ sich nicht länger von fröhlichen Gedanken im Zaum halten. »Und jetzt lasst mich ein, geschwind, mein Vater erwartet mich.«
»Zu Euren Diensten, Wendel Füger.« Der Wächter stieß die Pforte ganz auf.
Wendel nahm das Pferd beim Zügel, wollte aufsteigen, doch auf einmal erfasste ihn ein Schwindel, seine Beine knickten ein, und er spürte nichts mehr.
***
Konrad Sempach nahm Haltung an, Vorfreude pulsierte durch seinen Körper. Er gab dem Büttel ein Zeichen, woraufhin dieser energisch gegen die Tür des vornehmen Wohnturms hämmerte, in dem der Braumeister Henrich lebte. Sempach hatte das Ehrfurcht einflößende Bauwerk noch nie betreten und musterte neugierig die Fassade. Eigentlich lebten nur die adligen Familien in steinernen Türmen wie diesem. Die reichen Bürger besaßen zwar auch prächtige Anwesen, doch waren diese mehr auf die praktische Nutzbarkeit als auf Wehrhaftigkeit ausgelegt und besaßen Innenhöfe, Werkstätten, Ställe und Lagerhäuser. Meister Henrich hingegen übte sein Handwerk in einem länglichen Anbau aus, der sich eng an den quadratischen Wohnturm schmiegte.
Was für eine Anmaßung, dass ein gewöhnlicher Bierbrauer sich erdreistete, eine solche Wohnstätte sein Eigen zu nennen! Gerold von Türkheim sah das richtig: Es verstieß gegen die göttliche Ordnung, wenn einfache Handwerker und Kaufleute im Rat saßen und die Geschicke der Stadt mitbestimmten. Und doch gab es auch Dinge, die dafürsprachen. Man musste sich nur mit den richtigen Männern zusammentun, seine Schritte klug abwägen, dann konnte man eine Reihe Annehmlichkeiten aus seinen bürgerlichen Bekanntschaften ziehen.
Gerade wollte Sempach dem Büttel befehlen, nochmals anzuklopfen, als sich die Tür öffnete. Eine Magd blickte sie überrascht an.
Sempach trat vor. »Melde deinem Herrn, dass der Ratsherr Konrad Sempach ihn zu sprechen wünscht. Und zwar unverzüglich!«
Die Magd verschwand im Inneren, und nur wenig später trat Meister Henrich selbst an die Tür. »Sempach, kommt doch herein!«
Der Braumeister führte ihn in seine gute Stube, die zu Sempachs Ärger wie ein kleiner Thronsaal eingerichtet war: mit einem wuchtigen Eichentisch, lederbezogenen Stühlen, Teppichen an den Wänden und sogar auf dem Boden, wo sonst üblicherweise Stroh lag. Sauber war es, und es roch würzig nach Hopfen und Malz. Die Magd trug frisches Brot, Schinken, Käse und schäumendes kühles Bier auf. Wie es die Höflichkeit verlangte, plauderten sie eine Weile über Geschäfte, dann kam der Braumeister zur Sache, und Sempach musste sich eingestehen, dass der Mann durchaus Format hatte. Zu viel, vielleicht.
»Womit kann ich Euch dienen, verehrter Sempach?«, fragte Meister Henrich und lehnte sich erwartungsvoll in seinem Stuhl zurück. Nichts in seinem Gesicht deutete darauf hin, dass er ahnte, weshalb sein Gast ihn aufgesucht hatte.
Doch Sempach hatte nicht vor, sich von dem Braumeister in die Irre führen zu lassen. Er misstraute dem Mann zutiefst. Zudem hatte seine Frau die Geschichte mit dem verletzten Bein bestätigt. Auch sie hatte davon gehört, dass Henrich sich nicht etwa von dem Meister Chirurgicus, sondern von Raimund, dem Henker, hatte behandeln lassen. »Ich nehme an, Ihr habt davon gehört, dass der Reutlinger Weinhändler aus dem Kerker geflohen ist?«, begann er.
Meister Henrich nickte, ohne das Gesicht zu verziehen.
»Und dass Melchior, der Henker, in derselben Nacht ebenfalls spurlos verschwand?«
Wieder nickte Meister Henrich. »Auch das ist mir zu Ohren gekommen. Ich glaube nicht, dass es irgendjemanden in Esslingen gibt, der noch nicht davon erfahren hat. Der müsste schon taub sein oder nicht mehr alle Sinne beisammenhaben.« Er schmunzelte. »Das muss äußerst unangenehm für Euch
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