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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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Hase. Wie vor Jahren nach dem Überfall, als sie die schützende Höhle verlassen hatte. Doch damals war der Hase entkommen.
    Melisande erhob sich. Diese Nacht würde sie ohnehin keinen Schlaf mehr finden. Sie war in großer Gefahr. Von nun an musste sie doppelt auf der Hut sein. Als Henker von Esslingen würde sie vermutlich kaum jemand erkennen. Doch was, wenn de Bruce die Suche nach ihr immer noch nicht aufgegeben hatte? Wenn er davon überzeugt war, dass sie sich irgendwo versteckt hielt? Sie würde fortan als Frau leben. Als Frau, deren Ähnlichkeit mit dem Mädchen, das vor fünf Jahren spurlos verschwunden war, jedem ins Auge fallen musste, der Melisande Wilhelmis gekannt hatte.
***
    »Von Säckingen!« Ottmar de Bruce stürmte in die kleine Kammer, die an sein Schlafgemach grenzte. Auf dem Tisch standen ein Weinkrug und ein Becher, daneben eine Talglampe, die unruhig flackerte. Als er eintrat, blieb von Säckingen, der bis zu diesem Moment offenbar rastlos in der Kammer auf und ab gelaufen war, abrupt stehen.
    »Ich hoffe für Euch, von Säckingen«, stieß de Bruce hervor, halb im Scherz, halb ernst, »dass Ihr einen wirklich guten Grund habt, mich von meinem Ehelager zu reißen.« Er nestelte an seinen Beinlingen herum. »Noch keine zwei Tage nenne ich meine Braut mein Eigen, und schon raubt Ihr mir das Vergnügen, meinen ehelichen Pflichten nachzukommen.«
    »Verzeiht, Graf. Doch es ist wirklich dringlich.« Von Säckingen verneigte sich.
    Argwöhnisch musterte de Bruce seinen Gefolgsmann. Seit wie vielen Jahren stand von Säckingen in seinen Diensten? Es mussten an die acht sein. Über fünf davon als seine rechte Hand. Er kannte diesen Mann so gut wie keinen anderen in seinem Gefolge und wusste ihm jede Gefühlsregung an der Nasenspitze abzulesen. Bleich und verängstigt sah er heute aus. Das konnte nur bedeuten, dass er schlechte Nachrichten hatte. Sehr schlechte Nachrichten. »Sprecht, von Säckingen. Mit welchem Ungemach muss ich mich quälen?«
    Der Ritter senkte kurz den Kopf, blickte de Bruce dann aber in die Augen. »Wendel Füger ist aus dem Esslinger Kerker entflohen.«
    »Was?« Nur mit Mühe unterdrückte de Bruce den Drang, von Säckingen zu packen und zu schütteln. Schwer atmend presste er seine Worte hervor. »Wie konnte das passieren? Ich dachte, das Schelkopfstor wird Tag und Nacht von Eurem besten Mann bewacht?«
    »Ich weiß auch noch nichts Näheres«, erklärte von Säckingen und senkte erneut den Kopf. »Die Nachricht hat mich soeben erreicht. Offenbar hatte der Reutlinger Hilfe, und zwar ausgerechnet von dem Mann, der ihn ins Jenseits befördern sollte.«
    »Der Henker hat ihm zur Flucht verholfen? Wisst Ihr, was Ihr da sagt? Dieser gottverdammte, verfluchte Rotschopf steckt da mit drin?«
    Von Säckingen bekreuzigte sich verstohlen, und de Bruce fragte sich, ob sein Hauptmann noch Biss hatte oder im Begriff war, sich in einen verweichlichten Pfaffen zu verwandeln.
    »Wenn Euer unfehlbarer Mann das alles weiß, wieso hat er die beiden nicht aufgehalten?« De Bruce packte den Weinkrug, der auf dem Tisch stand, und knallte ihn gegen die Wand. Tonscherben regneten in alle Richtungen, der rote Rebensaft ergoss sich wie frisches Blut über das Mauerwerk. Er trat dicht an von Säckingen heran, packte ihn mit einer Hand an seinem grünsamtenen Surcot, die andere legte er an seinen Schwertknauf.
    »Ich habe Euch vertraut, von Säckingen«, flüsterte er und beobachtete mit Genugtuung, wie dem Mann Schweißperlen auf die Stirn traten. »Ihr habt mir Euer Ehrenwort gegeben.«
    Schlaff hing von Säckingen an de Bruce’ Faust. »Ich schaffe den Reutlinger her, Graf«, stammelte der Ritter. »Gebt mir eine Woche, dann habe ich ihn ausfindig gemacht. Diesmal übernehme ich ihn selbst, dann kann es nicht fehlgehen. Ich schwöre bei meinem Leben, dass er mir nicht noch einmal entwischt.«
    »Euer Leben ist im Augenblick nicht so viel wert, dass es einen solchen Schwur tragen könnte«, erwiderte de Bruce kalt. Von Säckingen ekelte ihn mit einem Mal an. Was hatte ihn nur dazu bewogen, diese feige Ratte zu seinem Vertrauten zu machen? Er stieß ihn abrupt von sich, sodass von Säckingen rückwärtstaumelte. »Eigentlich sollte ich Euch auf der Stelle Euer dämliches Haupt abschlagen.«
    Von Säckingen sank auf die Knie. »Verzeiht, Herr. Ich habe Euch enttäuscht. Bitte lasst mich beweisen, dass ich Eures Vertrauens würdig bin.«
    »Nein«, donnerte de Bruce. »Ihr habt die Gelegenheit gehabt,

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