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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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und Ihr habt versagt. Um den Reutlinger kümmere ich mich selbst. Eine solche Aufgabe gebe ich nicht mehr in die Hände eines Schwächlings, wie Ihr einer seid. Doch ich gebe Euch die Möglichkeit, die Scharte auszuwetzen und Euer erbärmliches Leben zu retten. Bringt mir den Kopf des Mannes, der den Kerker bewachen sollte!«
    Von Säckingen erhob sich. Angewidert bemerkte de Bruce, dass seine Hände zitterten. »Betrachtet den Befehl als ausgeführt, Graf. Ich werde Euch das Haupt dieses Versagers auf einem silbernen Tablett servieren.«
    De Bruce wandte sich ab. Er brauchte von Säckingen noch, deswegen ließ er ihn am Leben. Glücklicherweise gab es auf der Burg genug Weiber, an denen er seinen Zorn abarbeiten konnte. Sein eigenes eingeschlossen. Bei dem Gedanken an Othilia, die nebenan wartete, stieg neuer Groll in ihm hoch. Auch sie war eine Enttäuschung, wenn auch auf ganz andere Weise als sein Hauptmann.
    An der Tür drehte er sich noch einmal um. »Wagt es nicht, mir ohne Euer kleines Mitbringsel unter die Augen zu treten, von Säckingen.« Er verzog das Gesicht. »Und diesmal achtet darauf, dass Ihr den Richtigen erwischt.«
    Als von Säckingen fragend die Stirn krauszog, lachte de Bruce hämisch auf. »Wir beide wissen, dass Ihr mir damals das falsche Mädchen gebracht habt, dass Melisande Wilhelmis noch lebt.«
    »Aber –«
    »Spart Euch Eure verlogenen Worte, und verschwindet, bevor ich mich vergesse. Wenn Ihr noch einmal versagt, lasse ich Euch für vogelfrei erklären.«
***
    Fast zwei Stunden lang hatte Wendel immer wieder über die Schulter gesehen, hatte angehalten und gelauscht, aber niemand verfolgte ihn. Übermächtiger Durst hatte ihn überfallen, an einem Bach hatte er sich vom Pferd gleiten lassen und es sogleich bereut. Seine Füße brannten wie glühende Kohlen. Er trank gierig, ruhte einen Moment, dann führte er das Pferd an einen umgestürzten Baumstamm, von dem aus er sich unter Qualen hochzog. Wie gut, dass der Gaul alles mit sich geschehen ließ!
    Wendels zweiter großer Feind war die Müdigkeit. Immer wieder tauchten Trugbilder vor seinen Augen auf, der Henker stand plötzlich vor ihm auf dem Weg, oder er hörte donnernde Hufe, obwohl niemand weit und breit zu sehen war. Wenn er so weitermachte, würde er den Verstand verlieren. Oder vor Erschöpfung aus dem Sattel fallen und sich das Genick brechen. Daher ritt er ein Stück weit in den Wald hinein, band das Pferd an einen Baum, blieb aber im Sattel und bettete seinen Kopf auf den warmen, weichen Hals des Tieres. Sofort war er eingeschlafen und schreckte einen Moment später, so schien es ihm, wieder auf.
    Am Stand der Sonne erkannte er, dass er drei oder vier Stunden geschlafen haben musste. Er fühlte sich gestärkt, sein Blick war wieder klar, ebenso seine Gedanken. Doch die Rast hatte ihn wertvolle Zeit gekostet, nun musste er sich beeilen. Erst innerhalb der Mauern seiner Heimatstadt würde er in Sicherheit sein. Er trieb das Pferd an und legte keine weitere Rast ein, auch nicht, als die Nacht hereinbrach.
    Als vor ihm die vertrauten Konturen Reutlingens im blassen Morgenlicht auftauchten, glaubte Wendel erst, seine Einbildungskraft spiele ihm erneut einen Streich. Doch die Stadtmauern, Türme und Giebel verschwammen nicht nach wenigen Augenblicken zu einer formlosen grauen Masse, sondern wurden größer, dunkler, zeichneten sich immer klarer gegen den Himmel ab. Gerade ging im Osten die Sonne auf, warf goldenes Licht auf den Turm der Marienkirche. Er parierte das Pferd zum Stehen durch und faltete die Hände.
    »Allmächtiger Herr im Himmel«, sprach er, »ich danke dir, dass du mir Hilfe geschickt hast in der Gestalt eines deiner niedrigsten Diener, des Henkers. Ab heute werde ich noch mehr darauf achten, wie ich mich meinem Nächsten gegenüber betrage, denn der reiche Edelmann hat sich als Sünder entpuppt, während der unreine Diener zum Werkzeug deiner Güte wurde. Verzeih mir, Herr, dass ich so blind war. Von nun an will ich sehend durch das Leben gehen.«
    Wendel wartete, bis das Sonnenlicht auch die niedrigeren Mauern der Stadt erfasst hatte, dann trieb er den Gaul an. Wenig später hielt er vor dem Tor, das noch verschlossen war, und saß ab. Ihm war mit einem Mal so leicht zumute, dass er den Schmerz in seinen Füßen ohne Mühe ertrug. Er schlug mit der Faust gegen das Holz.
    Eine Luke öffnete sich, ein misstrauisches Augenpaar lugte hinaus. »Ihr seid zu früh, das Tor ist noch verschlossen.«
    »Wendel Füger,

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