Henkerin
Konrad Sempach und Henner Langkoop. Trotzdem erwischte sich Sempach bei dem Gedanken, dass der Greis unter Melchiors geschickten Händen wohl nicht gestorben wäre.
Angewidert verließ er den Keller. Obwohl ihm die Treppe nach oben nicht mehr so steil erschien wie vor einigen Monaten, bereitete ihm jeder Schritt Schmerzen. Er war ein gescheiterter Mann, ein verweichlichter Schlappschwanz, dem von gebratener Ente und Wein übel wurde. Seine Pläne waren allesamt missglückt. Verflucht sei Meister Henrich, verflucht der Reutlinger! Verflucht seien Remser und die ganzen anderen überheblichen Ratsmitglieder! Vor allem aber: Verflucht sei Melchior.
Wo hast du dich verkrochen, du Ausgeburt der Hölle? Er reckte eine Faust gen Himmel. Eines Tages werde ich dich in die Finger bekommen, du hinterhältiger Teufelsbraten, und dann gnade dir Gott!
***
Wendel tauchte den Kopf in den Wassertrog, um sich abzukühlen. Als er ihn tropfnass wieder herauszog, atmete er tief durch. Jeder Muskel, jede Faser seines Körpers schmerzte, dennoch fühlte er sich so lebendig wie lange nicht mehr.
Meister Oswald trat zu ihm. »Für heute ist es genug, Herr. Morgen üben wir weiter.«
»Meinetwegen«, sagte Wendel und rieb sich mit einem Tuch trocken. »Aber nur, wenn ich mich morgen noch bewegen kann.«
Oswald lachte. »Das könnt Ihr, Wendel, keine Sorge. Ihr seid jung und kräftig, so eine kleine Übungsstunde mit dem Schwert wirft Euch nicht um.«
Wendel stöhnte. »Ihr habt ja keine Ahnung. Ich fühle mich jetzt schon, als hätte ich Prügel bezogen.«
Meister Oswald klopfte ihm auf die Schulter. »Gehabt Euch wohl. Und auf morgen!«
Wendel winkte ihm hinterher, dann ließ er sich von Antonius seinen Surcot reichen. Sein Vater hatte darauf bestanden, dass er wieder Fechtunterricht nahm. Es war seine Bedingung dafür, dass Wendel das Haus verlassen und ein normales Leben führen durfte.
»Ihr habt Euch gut geschlagen, Herr«, sagte der Leibwächter.
»Du brauchst nicht zu lügen, Antonius. Ich weiß, dass ich ein erbärmlicher Kämpfer bin.« Wendel zog den Surcot über seinen Kopf und schlüpfte in die Ärmel.
»Das ist nicht wahr, Herr. Ihr habt eine gute Technik. Euch fehlen lediglich die Übung und ein paar zusätzliche Kniffe.«
»Und Mut«, ergänzte Wendel bitter.
Antonius sah ihn wortlos an.
»Was?«, stieß Wendel hervor.
»Darf ich Euch etwas fragen, Herr?«
Wendel wusste sofort, was Antonius wissen wollte. Seit einem Monat wartete er auf diese Frage. Aber wie sollte er etwas beantworten, wofür er selbst keine Erklärung hatte? »Was denn?«, fragte er unwillig.
»Ich habe gesehen, was mit Euch passiert ist«, begann Antonius vorsichtig. »Euch ist schwindelig geworden, als Ihr das Blut gesehen habt.«
Wendel zog scharf die Luft ein.
»Keine Sorge«, sagte Antonius schnell. »Euer Geheimnis ist bei mir sicher. Niemals würde ich jemandem davon erzählen. Wenn Eure Feinde davon erführen, wäre das Euer sicherer Tod.«
Wendel schluckte. So hatte er die Sache noch gar nicht betrachtet. Dann sah er Antonius an. »Und? Wie lautet nun deine Frage?«
»Wisst Ihr, warum Ihr auf den Anblick von Blut so reagiert? War das schon immer so, oder gab es vielleicht ein Ereignis, das Eure Angst ausgelöst hat?«
Wendel warf ärgerlich das Handtuch auf den staubigen Boden. »Ich wüsste nicht, was dich das anginge, Antonius. Du bist mein Leibwächter, nicht mein Beichtvater. Also verschone mich mit solchen Fragen.«
Wütend lief er über den Hof und schritt durch das weit geöffnete Tor in das Kelterhaus. Obwohl das Haus keine Außenwände hatte, war es hier still und dämmrig. Wendel taten seine bösen Worte bereits leid. Antonius meinte es gut mit ihm. Doch er hasste es, an seine Schwäche erinnert zu werden. Oder an jenen Tag im Sommer, an dem seine kleine Schwester Elisabeth gestorben war.
Sie war noch keine drei Jahre alt gewesen, ein süßes kleines Ding mit schwarzen Locken. Sie hatte im Hof gespielt, Steine zu bunten Mustern ausgelegt und dann erklärt, dass es sich bei dem steinernen Gebilde um ein fernes Land handle, in dem sie die Königin sei. Sie hatte sogar einen Namen für dieses Land erfunden: Fugerien. Wendel, der selbst kaum zwei Jahre älter gewesen war, hatte sie geneckt, die Steine mit den Füßen weggekickt und ihre Krone aus Blüten in den Dreck geworfen. Dann war ihm langweilig geworden, und er hatte sich ins Haus verzogen, um nachzusehen, ob die Speisekammer unverschlossen war.
Ein
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